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Uruguay: Das Land der Ungläubigen
Aus International vom 19.10.2024. Bild: SRF Teresa Delgado
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Ein Paradies für Agnostiker Disco statt Weihnachten in Uruguay

Uruguay ist das am wenigsten religiöse Land des amerikanischen Doppel-Kontinents. Es hat eine laizistische Verfassung, die Religion und Staat strikt trennt. Dies hat Folgen, die tief in Politik und Gesellschaft spürbar sind.

Latinos und Religion, das gehört für die meisten irgendwie zusammen. Südamerika ist noch immer grossmehrheitlich katholisch geprägt, und auch evangelikale christliche Bewegungen haben mancherorts starken Zulauf.

Nicht so in Uruguay. Die Religion habe keinen Platz in der uruguayischen Gesellschaft, so stehe es in der laizistischen Verfassung des Landes, sagt der Religionssoziologe Nestor da Costa.

Mann vor Bücherregal stehend.
Legende: Nestor da Costa von der privaten katholischen Universität in Montevideo ist einer von wenigen Experten, die sich mit der Nicht-Religiosität Uruguays befassen. SRF / Teresa Delgado

Auch im uruguayischen Kalender habe die Religion nichts verloren: «Deshalb heisst der Dreikönigstag in Uruguay Kindertag. Die Osterwoche ist die Tourismuswoche, und Weihnachten gibt's nicht, das ist der Tag der Familie», sagt da Costa. Statt Weihnachten gibt es in Uruguay einen ganz speziellen, nicht-religiösen Nationalfeiertag.

Weshalb Uruguay so wenig religiös ist

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«Uruguay hat sich historisch stark an Frankreich orientiert. Unsere indigene Bevölkerung wurde ermordet, es kamen Einwanderer und Einwanderinnen aus Spanien, Italien, der Schweiz – Anarchisten, Sozialisten, Rationalisten, auch viele Freimaurer», erklärt Religionsexperte Nestor da Costa. Diese Vielzahl an Ideologien und besonders die Freimaurer haben Uruguays Verhältnis zur Religion geprägt: Als Frankreich 1905 Kirche und Staat trennte, zog Uruguay 1918 nach.

Doch heute werde die Trennung von Kirche und Staat in Uruguay strikter angewendet als in Frankreich. So gibt es in Uruguay keine Landeskirche: Alle religiösen Institutionen sind privat, weil Religion als Privatsache gilt. Und traditionell christliche Werte spielen in der uruguayischen Politik keine Rolle, so auch nicht bei den aktuellen Präsidentschaftswahlen, wo es zu einer Stichwahl kommt.

«Bei den letzten Wahlen versuchte eine Politikerin, in Uruguay Politik zu machen wie in Brasilien: Sie versuchte ein Bündnis mit evangelikalen Christen, ähnlich wie Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro. Sie wurde nicht gewählt, denn in Uruguay wählen die Leute, was sie wollen, nicht, was der Pfarrer sagt», sagt da Costa.

Wer welche Religion hat, weiss der Staat offiziell nicht. Weil Religion Privatsache ist, darf auf der Steuererklärung oder bei der Volkszählung nicht danach gefragt werden. Doch es gibt private Umfragen. «38 Prozent sind demnach katholisch, 13 sind protestantisch oder evangelikal, 24 Prozent sind spirituell, aber gehören keiner Religion an – das ist der höchste Wert ganz Lateinamerikas. Und zwischen 13 und 17 Prozent sind Atheisten, andere Religionen kommen auf weniger als zwei Prozent. Muslime gibt es in ganz Uruguay nur etwa 500», sagt da Costa. Und das bei einer Bevölkerung von dreieinhalb Millionen Menschen.

Abends in der Disco erfahren wir mehr. Der Club ist original aus den Siebzigern, fühlt sich an wie eine Zeitkapsel. An der Decke glitzernde Disco-Kugeln – darunter tanzen Männer und Frauen zwischen 30 und 60 Jahren. Viele sind verkleidet und tragen bunte Disco-Outfits.

Eine Stimme aus dem Lautsprecher setzt zum Countdown an: «Willkommen, liebe Einwohnerinnen und Einwohner. In einer Nacht wie dieser, vor 46 Jahren, entstand eine Party, die heute das wichtigste Fest Uruguays ist: die Nostalgie-Nacht. Das Parlament hat diese Party mit dem Gesetzesartikel 17825 zu einem offiziellen Nationalfeiertag erklärt. Ihr alle habt dieses Fest zu dem gemacht, was es heute ist. Und jetzt feiern wir die Nostalgie-Nacht.»

Menschen tanzen in einem Nachtclub mit vielen Discokugeln.
Legende: Tanzen zu ABBA und Co.: In einem Club in Montevideo feiern die Uruguayer am 24. August 2024 ihre Nostalgie-Nacht. SRF / Teresa Delgado

Die Nostalgie-Nacht ist eine uruguayische Institution. Es ist eine Party, an der nur Evergreens gespielt werden – von den Beatles über Tina Turner bis zu den Spice Girls. Alles begann 1978 mit einer simplen Idee: Pablo Lecueder wollte seinen neuen Privatsender bewerben, Radio Mundo.

Er war damals ein junger Unternehmer und Radio-DJ. «Ich fragte mich: Was passiert, wenn ich aus den Retro-Songs, die ich im Radio spiele, ein Fest mache?», sagt Lecueder. «Die Idee war simpel, aber sie traf die Uruguayer mitten ins Herz, denn wir sind ein nostalgisches Volk. Wir sinnieren immer über den letzten Sieg an der Fussball-Weltmeisterschaft von 1950. Vielleicht sind wir auch ein bisschen melancholisch.»

Vom Marketing-Gag zum offiziellen Nationalfeiertag

Als gewiefter Geschäftsmann setzte Lecueder das Fest am 24. August an, am Abend vor dem Unabhängigkeitstag, denn am 25. August haben in Uruguay alle frei. Die erste Nostalgie-Nacht war ein voller Erfolg und fand Nachahmer, auch im nahegelegenen Argentinien.

Als mit dem Nachbarland ein Streit darüber ausbrach, wer die «Noche de la Nostalgia» erfunden habe, entschied das uruguayische Parlament kurzerhand, es hochoffiziell zu machen: 2004 erklärte es das Fest zum Nationalfeiertag. Seither ist das Retro-Fest in Uruguay Gesetz: eine staatlich verordnete Party, ein nicht-religiöser Feiertag, geschaffen von Bürgerinnen und Bürgern.

Müllcontainer mit Schriftzug Dios auf leerer Strasse.
Legende: Gehört Gott in die Mülltonne? Gesehen in einem Aussenviertel in Montevideo, SRF / Teresa Delgado

Für viele Uruguayer ist die Nostalgie-Nacht wichtiger als Weihnachten. Etwas uruguayischeres als dieses Fest gibt es kaum. Wohl auch, weil Uruguay, ähnlich wie die Schweiz, die direkte Demokratie kennt. Es ist somit wenig erstaunlich, dass die nicht-religiösen Uruguayer sich selbstbewusst für die Disco entschieden.

Rendez-vous, 28.10.2024, 12:30 Uhr

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