«Wer nach Dubai kommt und das Selbstvertrauen nicht spürt, welches die Stadt durchdringt, hat den Kern nicht erfasst», sagt der bekannteste Politexperte des Landes, Abdulkhaleq Abdulla.
Er hat zum Gespräch eines seiner letzten Bücher mitgebracht. Abdulla nimmt einen Stift und signiert es. Es heisst: «Die Stunde der Golfstaaten». Die Stunde ist gekommen – und die Vereinigten Arabischen Emirate gehen voran, ist der Strategieprofessor und ehemalige Berater von Kronprinz Mohammed bin Zeyid überzeugt.
Zelebrierter Zukunftsoptimismus
Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Zusammenschluss von sieben winzigen Scheichtümern. Zwei ragen heraus: Erstens das Emirat Abu Dhabi als politisches Zentrum, hier konzentriert sich der Ölreichtum. Zweitens das Emirat Dubai, mit seinen Wolkenkratzern und künstlichen Inseln. Es hat sich zum wichtigsten Finanzzentrum und Verkehrsdrehkreuz der Region entwickelt.
Die topmoderne Metro von Dubai rauscht führerlos vorbei an den luxuriösen Einkaufsmalls und dem höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa. Für die erste Weltausstellung im arabischen Raum wurde das Metronetz noch erweitert. Dubai investierte zehn Milliarden Dollar allein in dieses prestigeträchtige Event und die nötige Infrastruktur dazu.
Welch spektakuläre Entwicklung, schwärmt der 22-jährige Wirtschaftsstudent Dimitri, wenn er die Emirate von heute nur schon mit den Emiraten seiner Kindheit vergleiche: «Die Architektur, die Infrastruktur, inzwischen ist alles Weltklasse».
Die Eltern von Dimitri stammen aus Libanon. Für sich sieht er dort keine Perspektiven. Beirut, Kairo, Damaskus, Bagdad - die historischen Hauptstädte der arabischen Welt – sind nur noch ein Schatten ihrer selbst, zermürbt durch nicht endende Krisen und Kriege.
Hier am Golf dagegen gibt es Arbeit und das Gefühl, vorne mit dabei zu sein. Dubai zelebriert Zukunftsoptimismus und investiert schamlos in die extravagantesten Projekte.
Auch die Betriebswirtschaftlerin Parvati ist in den Emiraten aufgewachsen. Ihr Vater kam aus Indien, fand Arbeit im sogenannten Dschabal Ali, der ersten «Free Zone» von Dubai, wo sich ausländliche Unternehmen seit 1985 ohne grosse Auflagen ansiedeln konnten.
Der Hafen von Dschabal Ali zählt heute zu den führenden Güterumschlagplätzen der Welt. Handelshäuser und Finanzinstitute aus diversen Ländern machen Geschäfte in der Glitzerstadt – auch undurchsichtige: Der Golfstaat figuriert auf einer einschlägigen grauen Liste der Staaten, die gerne ein Auge zudrücken bei der Kontrolle der Geldflüsse.
Weltoffenheit und aggressive Regionalpolitik
Parvati wohnt mit ihrem Mann weit weg von den Luxussuiten, die russische Milliardäre und andere Businesstycoons gern zum steuerfreien Domizil machen. Sehr teuer sei die Wohnung trotzdem, sagt sie.
Neun von zehn Menschen in Dubai kommen aus dem Ausland. Der Chauffeur im Bus aus Abu Dhabi ist Filipino, stammt aus einem Dorf von ausserhalb Manilas, zuhause Frau und Kind. In Dubai teilt er sich eine Kammer mit drei Landsleuten. Ein Leben in der Schwebe seit elf Jahren, unterbrochen nur vom jährlichen Heimaturlaub, wenn es die Umstände zulassen.
Auch das ist ein Teil der hiesigen Realität, abseits der Golfplätze, Pferderennbahnen und röhrenden Sportwagen. Seinen Namen nennen mag er nicht. Das erscheint ihm zu riskant.
Die Möglichkeiten zur Meinungsäusserung sind beschränkt – aber mit gutem Grund.
Man gibt sich in den Emiraten gern weltoffen und westlich. Zugleich wird der Herrscher von Dubai beschuldigt, seine Ehefrauen und Töchter zu demütigen, ja einzusperren, wenn sie sich seinem absoluten Herrscherwillen nicht beugen. Darüber öffentlich zu reden ist tabu.
Der Golfstaat gehört auch beim Einsatz modernster Überwachungstechnologie und Spionagesoftware zur Weltspitze.
Der Publizist Mohamed Al Hammadi räumt ein: Die Möglichkeiten zur Meinungsäusserung sind beschränkt. Aber das gelte in der ganzen Region. Und es gebe einen guten Grund für die Restriktionen: den Terrorismus. Dieser habe die Region um Jahrzehnte zurückgeworfen. Überall seien die Regierungen deswegen vorsichtiger geworden, sagt der emiratische Publizist.
Dabei sind die Vereinigten Arabischen Emirate selbst tief in die Konflikte verstrickt: Der Begriff vom «Sparta am Golf» machte die Runde. Wie der antike griechische Stadtstaat würden die Emirate eine aggressive Regionalpolitik betreiben, die in keinem Verhältnis stehe zu ihrer geringen Grösse.
Tatsächlich kauften die Prinzen vom Golf im letzten Jahrzehnt bis zum Horn von Afrika Häfen auf und pumpten ihre Ölmilliarden in Krisengebiete rund um die arabische Welt, von Jemen über Ägypten bis Libyen.
Professor Abdulkhaleq Abdulla bestreitet nicht die Tatsache, nur die negative Bewertung. Hinter dem Engagement stecke eine historische Verantwortung. «Während andere die Kräfte des Chaos in der Region machen lassen, vertreten die Emirate die Kräfte der Mässigung und Stabilität». Die Interventionen seines Landes hatten zur Folge, dass in der Region Protestbewegungen unterdrückt und die bestehenden Herrschaftsordnungen verteidigt wurden, jene der Generäle und Autokraten.
Nun sei die Zeit reif für ein neues Kapitel, sagt der Buchautor: «Im Grunde ist alles bereit für ein Jahrzehnt der Entspannung in der Region», glaubt Abdulla.
In Jemen gilt seit Beginn des Ramadans eine prekäre Waffenruhe, die Emirate strecken ihre Fühler auch nach Iran aus. Sogar der türkische Präsident Erdogan, der in den Konflikten des letzten Jahrzehnts auf der Gegenseite der Emirate stand, wurde jüngst mit allen Ehren in Abu Dhabi empfangen, war auch bei den Saudis.
Und Katar, der ebenso ehrgeizige Nachbarn?
Ausgerechnet in dem kleinen Bruderstaat nebenan sahen die Emirate den wichtigsten Anstifter zum Chaos des letzten Jahrzehnts.
Auch Katar pumpte Milliarden in die Konfliktgebiete, allerdings auf die Gegenseite. Es finanzierte Bewegungen des Protests gegen die bestehenden Ordnungen, von Syrien über Ägypten bis nach Libyen. Es waren vornehmlich Bewegungen, die den islamistischen Muslimbrüdern nahestehen.
Gemeinsam mit den Saudis nahmen die Emirate den widerspenstigen Nachbarn deswegen in den Würgegriff. Sie stellten ein Ultimatum, es lief darauf hinaus, dass Katar auf eine eigenständige Aussenpolitik verzichten und ganz auf den Kurs der andern Golfstaaten umschwenken sollte. Katar dachte nicht daran. Also wurde die Blockade verhängt: Dreieinhalb Jahre lang waren sämtliche Verbindung der andern Golfstaaten zu Katar gekappt.
Doch schon im Landeanflug auf Doha wird klar, so sieht kein Verlierer aus. Auch hier bestimmen Wolkenkratzer die Skyline – auch hier ist die Handschrift der Stararchitekten der Welt zu erkennen.
Doha steht Dubai an Selbstbewusstsein kaum nach. Gleichzeitig nimmt Doha für sich in Anspruch, dezenter zu sein – weniger schrill als Dubai, mehr der Religion und der Tradition verpflichtet. Doch was für Dubai die Weltausstellung war, ist für Doha die Fussballweltmeisterschaft.
Damit die Spiele nicht in der Bruthitze des Sommers ausgetragen werden müssen, wurde die Weltmeisterschaft extra für Katar in den nächsten Winter verlegt. Katar sieht in dem Grossereignis die Gelegenheit, sich selbst und der ganzen Welt die eigene Bedeutung zu beweisen.
Die Egos der Prinzen
Es geht am Golf um die Egos von Prinzen. Um Nationalstolz. Aber auch um Überlebensinstinkt. Je stärker sie sich vernetzen und je relevanter sie erscheinen, umso sicherer sind diese winzigen Staaten umgeben von unberechenbaren Regionalmächten, so ihr Kalkül.
Auch Katar glaubt, alle Argumente auf seiner Seite zu haben, um sich unverzichtbar zu machen: Es ist zu einem der grössten Exporteure von Flüssigerdgas avanciert. Neuerdings stehen die Minister aus Europa Schlange. Sie hoffen in ihrer Versorgungskrise auf mehr Gas aus Katar, um sich von Russland zu lösen.
Solange die globale Nachfrage nach diesem Treibstoff seiner Ambitionen anhält, kann sich der Staatschef jede Extravaganz leisten. Rings um die Stadien sind neue Stadtviertel aus dem Boden geschossen, wo gerade noch Wüste war.
Samia und Dana kommen gern zum Joggen an die Strandpromenade von Lusail, der neuesten Vorstadt von Doha– die Promenade befindet sich neben dem Stadion, in dem das Finalspiel ausgetragen wird.
Sie stammen aus dem Libanon, wie Dimitri in Dubai. Auch für sie ist Rückkehr in die zerrüttete Heimat keine Option. Lusail soll zur nachhaltigen «Smart City» werden. Katar bleibt zugleich der Staat mit dem grössten CO2-Ausstoss pro Kopf.
Und die Katar-Blockade?
Die Grenzen gingen letztes Jahr fast so überraschend wieder auf, wie sie dreieinhalb Jahre zuvor geschlossen worden waren. Auch das könnte mit den Grossanlässen dieses Jahres, der Expo in Dubai und der Weltmeisterschaft hier in Katar, zusammenhängen: Zwängereien unter rivalisierenden Prinzen machen sich schlecht, wenn sich ihre Staaten doch gleichzeitig vor der globalen Öffentlichkeit ins beste Licht rücken wollen.
Den Vorwurf seiner Nachbarn, es unterstützte Terroristen, weist Katar ohnehin zurück. Es präsentiert sich der Welt lieber als neutraler Vermittler mit exzellenten Kontakten in alle Richtungen.
Vielleicht ist die Unterstützung Katars für die Muslimbrüder seit der Blockade der Nachbarn etwas diskreter geworden – die islamistische Bewegung hat ohnehin stark an Bedeutung verloren.
Aber Katar hat nicht auf eine eigenständige Aussenpolitik verzichtet. Und auch die überlebensgrossen Porträts von Scheich Tamim al Thani sind nicht von den Fassaden verschwunden – die Porträts des Herrschers, der sich nicht unterkriegen lässt.