Von einem Blackout war die Rede, Anfang Monat – dass Indien binnen weniger Tagen der Strom ausgehe. Dies, weil die Kohlereserven in rund der Hälfte der knapp 300 Kohlekraftwerken des Landes ungewöhnlich klein waren. «Die Situation war alarmierend», bestätigt Vibhuti Garg, Energie-Spezialistin bei der internationalen Denkfabrik Institute for Energy Economics and Financial Analysis. Dennoch sei man weit von einem landesweiten Stromausfall entfernt gewesen. Der Hauptlieferant für Kohle, die staatseigene Coal India Limited, lagerte noch Ende September über 40 Millionen Tonnen Kohle. Genug, um das Land über einen Monat mit Energie zu versorgen.
Immer wieder Lieferengpässe
Der Staatsbetrieb liefert rund 80 Prozent der Kohle. Die Probleme waren mehr logistischer Natur: Es kam zu Lieferengpässen, sagt Sunil Dahiya, ein Analyst beim Center for Research on Energy and Clean Air. «Das ist in den letzten paar Jahren immer wieder vorgekommen.»
Die Kohlebestände seien nach den Monsunregen in Indien generell tief, weil während den Regenmonaten keine Kohle geschürft werden könne. In der Regel kein Grund zur Besorgnis, denn derselbe Regen liefert in der Zwischenzeit genügend Strom zur Überbrückung durch Wasserkraftwerke.
Dieses Jahr ist die Situation zusätzlich speziell, denn die Betreiber der Kohlekraftwerke rechneten mit einem tieferen Energieverbrauch, da auf Oktober eine dritte Covid-Welle für Indien prognostiziert war. Indiens Energieverbrauch ist derzeit aber vergleichbar mit vergangenen Jahren. Trotzdem kam es nicht zu mehr Stromunterbrüchen als gewöhnlich.
Kleine Anreize für erneuerbare Energien
Die Abhängigkeit Indiens von Kohle sei aber nichtsdestotrotz ein grosses Problem, sagt Vibhuti Garg: Da fast der gesamte Energiebedarf von dieser einzigen, nicht erneuerbaren Quelle abhänge, sei Indien extrem anfällig für Lieferengpässe. Es sei wichtig, dass Indien wegkomme von Kohle. Zurzeit stammten nur rund 10 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen, so die Energie-Spezialistin. Dieser Anteil müsse erhöht werden.
Der Anteil von Wind und Sonnenenergie wächst stetig in Indien. Nur sind die Anreize dafür relativ klein. Solarpanels und Windanlagen müssen importiert werden. Im Gegensatz dazu stammt fast der gesamte Kohlebedarf aus lokalen Minen. Indien kann also günstig Kohle selber produzieren und dabei die eigene Wirtschaft stärken.
Beide Analysten sind überzeugt, dass es noch lange dauert, bis Indien auf Kohle verzichtet. Dies, zumal Indien nach wie vor weiter Kohlekraftwerke baue, sagt Sunil Dahiya – und diese müssten erst amortisiert werden.
Politisches Manöver?
Der Anwalt und Umweltaktivist Sunil Srivastava geht noch weiter und sagt, es fehle vor allem an politischem Willen: Die Regierung wolle privaten Minenunternehmen den Zugang zum lukrativen Geschäft mit der indischen Kohle erleichtern. In der nächsten Session des Parlamentes soll eine entsprechende Gesetzesrevision verabschiedet werden. Für Srivastava ist die vermeintliche Energieknappheit Anfang Monat nichts anderes als ein politisches Manöver, um die Abgeordneten aufzuschrecken und diese Gesetzesrevision im Parlament durchzupauken.
Und so dürfte die Sorge vor einem Blackout in Indien paradoxerweise zu einer noch grösseren Abhängigkeit vom schmutzigen Energieträger Kohle führen.