Einstimmig haben die elf Richter des britischen Supreme Court befunden, dass die Suspendierung des Parlaments für fünf Wochen «widerrechtlich, nichtig und folgenlos» sei; sie hat also gar nie stattgefunden.
Beispielloser Eingriff der Justiz
Die Richter folgten sämtlichen Anträgen der Kläger, ja, sie gingen sogar noch weiter: Sie untersuchten die möglichen Beweggründe von Premierminister Boris Johnson nicht, weshalb er der Königin widerrechtlich angeraten habe, das Parlament zu suspendieren. Stattdessen argumentierten die Richter verfassungsmässig: Das Parlament habe durch die Suspendierung seine Rolle eingebüsst, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Die Länge der Suspendierung, fünf von insgesamt acht verfügbaren Sitzungswochen bis zum Austrittsdatum vom 31. Oktober, sei ohne triftigen Grund gewählt worden.
Königliche Verfügung ist nichtig
Da der Ratschlag des Premierministers an die Königin widerrechtlich war, sei auch die königliche Verfügung über die Suspendierung widerrechtlich und nichtig, argumentierten die Richter. Die Sprecher der beiden Kammern sollten das Parlament wieder zusammenrufen. Der Vorsitzende des Unterhauses, John Bercow, begrüsste das Urteil: Das Parlament solle «ohne Verzug» zurückkehren, er sei bereits im Gespräch mit den Parteiführern.
Der Donnerschlag aus dem Supreme Court wird noch lange nachhallen. Das Gericht hat die Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsmässigkeit über alle anderen Elemente des britischen Staatsverbandes gestellt, auch über die Rechte der Krone, auf die sich der Premierminister berief, als er die Suspendierung verhängen liess. Diese so genannt prärogativen, ausserparlamentarischen Kompetenzen der Regierung sind seit Jahrzehnten am Schrumpfen. Das Urteil beschleunigt diesen Prozess nachhaltig. Der Supreme Court hat sich zum Wächter demokratisch-rechtsstaatlicher Grundsätze aufgeschwungen und ist dabei etwas amerikanischer geworden.
Johnson kompromittiert
Der Premierminister, der bereits sechs Abstimmungen im Unterhaus verloren hat und eine Minderheitsregierung führt, weilt derzeit noch in New York. Er darf nun beschuldigt werden, die Königin in die Irre geführt zu haben. Er wurde von Labour-Chef Jeremy Corbyn und anderen Oppositionsführern zum Rücktritt aufgefordert. Das Unterhaus wird nun sicherstellen, dass das gültige Gesetz, das Johnson dazu zwingt, nach dem 19. Oktober um eine Verschiebung des Austrittsdatums zu bitten, sofern er keine Einigung erzielt, auch tatsächlich umgesetzt wird. Turbulente Zeiten, fürwahr.