Der Westen Albaniens hat das schlimmste Erdbeben seit Jahrzehnten erlebt. Hunderte Menschen wurden verletzt und mindestens 28 sind ums Leben gekommen. Ganze Häuser stürzten ein, andere wurden so stark beschädigt, dass sie wahrscheinlich abgerissen werden müssen. Viele Menschen seien in ihrer Existenz bedroht, sagt SRF-Osteuropa-Korrespondent Peter Balzli, der für SRF News vor Ort ist. Aktuell befindet er sich in der Küstenstadt Durres, die am heftigsten vom Erdbeben getroffen wurde.
SRF News: Was war Ihr erster Eindruck, als Sie in Durres ankamen?
Peter Balzli: Im Zentrum der Stadt sieht man fast nichts. Erst in den Aussenquartieren werden die immensen Schäden sichtbar. Einige Häuser – darunter drei Hotels – sind komplett eingestürzt.
Eine Gebäudeversicherung haben die wenigsten, sie ist nicht obligatorisch wie in der Schweiz. Diese Menschen stehen vor dem Nichts.
Gewisse Quartiere wurden verschont, in anderen haben praktisch alle Wohnblöcke Risse oder gar ganze Löcher in der Fassade. Man sieht zum Teil durch diese Löcher in die Wohnzimmer der Menschen. Viele dieser Häuser wird man abreissen müssen, so stark beschädigt sind sie.
Wie geht es den Menschen?
Die Stimmung ist sehr schlecht. Viele sind durch den Verlust der Wohnungen in ihrer Existenz bedroht, weil sie ihr ganzes Vermögen in die Immobilie investiert hatten. Eine Gebäudeversicherung haben die wenigsten, sie ist nicht obligatorisch wie in der Schweiz. Diese Menschen stehen vor dem Nichts.
Hinzu kommt eine starke Verunsicherung, da es immer wieder zu Nachbeben kommt, auch heute wieder. Es fühlte sich an, als würde einem der Boden unter den Füssen weggezogen – sehr beängstigend. Die Leute getrauen sich nicht, in ihren beschädigten Häusern zu übernachten. Das wäre lebensgefährlich, da diese durch weitere Beben einstürzen könnten. Die Parks in der Stadt sind deshalb mit Zelten überfüllt. Auch der Rasen in einem Fussballstadion, das ich besucht habe, ist nun ein Notfall-Camp. Wenn der Winter kommt, wird sich die Frage stellen, wo diese Menschen hingehen sollen.
Wie reagieren die Behörden?
Sie machen einen überforderten Eindruck. Ich war mit sechs Helfern des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe unterwegs, als sie auf die Gemeindeverwaltung gingen, um zu fragen, wo Hilfe benötigt wird. Das war morgens um halb neun. Die Beamten meinten dann, sie müssten bis um sechs Uhr abends warten, bis sie ihnen das sagen könnten.
Als wir in die Quartiere fuhren und mit den Menschen sprachen, stellte sich heraus, dass teilweise genau diese Expertise gefragt wäre – unter anderem hat es Statiker dabei. Es ist ein Chaos. Natürlich ist es kompliziert, so was zu organisieren, doch auch dafür haben die Behörden ein Hilfsangebot. Die EU wollte den Lead übernehmen, doch die lokalen Behörden sperren. Es gibt ein Gerangel darum, wer wie viel zu sagen hat, während die Menschen dringend Hilfe brauchen.
Das Gespräch führte Lars Gotsch.