Die EU-Kommission in Brüssel hat ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland ausgearbeitet. Dazu gehört auch ein Erdölembargo, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Morgen ankündigte. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen dem noch zustimmen. Claudia Kemfert, Expertin für Energiefragen, sieht mögliche Alternativen.
SRF News: Laut Berechnungen von Greenpeace braucht die EU 70 Prozent der russischen Erdölimporte für den Verkehr. Wie einschneidend wäre ein Embargo für den Strassen- und Luftverkehr?
Claudia Kempfert: Es kommt darauf an, aus welchen anderen Ländern Europa Erdöl beziehen kann. Es ist ja nicht so, dass Russland der alleinige Anbieter ist. Die USA, Saudi-Arabien, Länder in Nordafrika, Katar – es sind einige, die einspringen werden. Dann werden wir sehen, wo es tatsächlich zu Einschnitten kommt. Aus deutscher Sicht wird es eher keine geben, in anderen europäischen Ländern wird es ähnlich sein.
Benzin und Diesel sowie Heizöl würden sich verteuern.
Man muss eher schauen, welchen Ländern man im Falle eines Importverbots helfen muss. Beim Verkehr geht es darum, wegzukommen von Diesel und Benzin, hin zu mehr Elektromobilität und Schienenverkehr und insgesamt zu einer emissionsfreien Mobilität.
Was würde das Embargo für die Treibstoffpreise bedeuten?
Es ist damit zu rechnen, dass die Preise ansteigen. Das tun sie ja ohnehin schon aufgrund des Krieges in der Ukraine. Aber sie würden damit noch weiter nach oben gehen. Benzin und Diesel sowie Heizöl würden sich verteuern. Aber wichtig wäre, dass man aus anderen Ländern kurzfristig Öl kauft, um gegenzusteuern.
Wir sind in einer ähnlichen Situation wie damals in der Ölkrise in den 70er- und 80er-Jahren.
Es ist auch damit zu rechnen, dass Reserven freigegeben werden in Europa, in den USA, um den Preis wieder nach unten zu bringen, bis auch die Energiesparmassnahmen greifen. Die EU-Länder werden sicherlich auch den Menschen helfen, die besonders betroffen sind, mit bestimmten Einkommenszuschüssen.
Welche Alternativen hat die EU, um russisches Erdöl zu ersetzen?
Es gibt zahlreiche Länder, die einspringen können, auch kurzfristig. Das ist die eine Alternative: Erdöl aus anderen Ländern beziehen. Die andere ist, Öl einzusparen. Das ist eine wichtige Alternative, weil hohe Preise für Diesel und Benzin ja auch dazu führen, dass bestimmte Freizeitfahrten vielleicht nicht mehr unbedingt stattfinden müssen, dass man auch mit einem Tempolimit gegensteuert und oder auch mit autofreien Sonntagen. Das sind Dinge, die wir in Deutschland diskutieren und die wir angesichts der Ernsthaftigkeit der Krise als angemessen erachten.
Denn wir sind in einer fundamentalen Energiekrise, wir sind in einer ähnlichen Situation wie damals in der Ölkrise in den 70er- und 80er-Jahren. Und genauso muss man jetzt auch mit dieser Entschlossenheit die Menschen informieren und deutlich machen: Wir alle sind jetzt Teil der Lösung. Und hier geht es um die Vermeidung von Verschwendung.
Wie schmerzhaft wäre es für Russland selbst, wenn die EU entscheidet, kein Erdöl mehr zu importieren?
Für Russland selber wäre es sehr schmerzhaft. Russland ist angewiesen auf die Einnahmen aus den Ölverkäufen. Es verdient sehr viel Geld damit. Seit Kriegsbeginn hat Europa sehr hohe Milliardenbeträge an Russland überwiesen. Russland selber hat ausreichende Deviseneinnahmen aus der Vergangenheit, keine Frage. Aber hier geht es ja auch darum, deutlich zu machen, dass wir hier eine verschärfte Situation haben und dass Europa auch willens ist, schneller vorwärtszugehen und alles dafür zu tun, unabhängig zu werden von russischen Energielieferungen.
Das Gespräch führte Yves Kilchör.