Fast 600 Jahre ihrer langen Geschichte war die «Ayasofya», wie die architektonische Einzigkeit aus der Spätantike auf Türkisch heisst, schon einmal Moschee. Dieser Traum für den türkischen Präsidenten und seine Anhänger könnte jetzt wieder wahr werden – wenn die Richter das Ende der Hagia Sophia als staatliches Museum besiegeln.
Für weniger religiös-nationalistische geprägte Türkinnen und Türken, Archäologen und Kunsthistoriker aber, wäre die Umwandlung des 1500 Jahre alten Bauwerks in eine Moschee ein Albtraum. «Die Hagia Sophia ist von universellem Wert für die gesamte Menschheit. Der antike Bau kann nicht auf die Nutzung als Sakralobjekt für eine spezielle Glaubensgemeinschaft reduziert werden», sagt Zeynep Ahunbay. Sie ist Architekturhistorikerin und Mitglied im Wissenschaftsrat des Hagia-Sophia-Museums.
Sie erinnert an die Restaurierungsarbeiten der Tessiner Architektenbrüder Fossati, die 1847 die berühmten byzantinischen Mosaiken nach Jahrhunderten wieder freilegten und konservierten. Da noch im 19. Jahrhundert der Bau als Moschee diente, mussten die Christus-, Maria- und Engelsfiguren wieder unter Gips verschwinden. Denn christliche Figurationen in einem islamischen Gotteshaus waren und sind bis heute nicht gestattet.
Die Hagia Sophia ist von universellem Wert für die gesamte Menschheit. Der antike Bau kann nicht auf die Nutzung als Sakralobjekt für eine spezielle Glaubensgemeinschaft reduziert werden.
Das aber würde dem Monumentalbau jetzt wieder blühen. Yunus Genç, Mitglied der national-konservativen Anatolischen Jugendgemeinschaft, sieht da aber gar kein Problem: «Die frühchristlichen Mosaiken müssen nach islamischen Recht wieder bedeckt werden – aber nur während des Gebets. Man könnte also Vorhänge installieren, die für die Touristen während der Besuchszeiten wieder aufgezogen werden.»
Die Wissenschaft aber schüttelt den Kopf: «Wissen die Moschee-Anhänger in welcher Höhe sich die Apsis-Mosaiken befinden? Wie will man da Vorhänge befestigen, die sich auch noch auf- und zuschieben lassen?» meint Zeynep Ahunbay.
Man könnte Vorhänge vor die christlichen Mosaiken installieren, die für die Touristen während der Besuchszeiten wieder aufgezogen werden.
Mehr noch macht aber vielen der Machtanspruch Sorgen, der hinter der Forderung nach einer Umwandlung zur Moschee steht. «Die Türkei ist ein islamisches Land. Wir entscheiden, wo wir unsere Gotteshäuser errichten. Die Rückführung der ‹Ayasofya› in eine Moschee ist eine souveräne Entscheidung.» Yunus Genç fühlt sich von oberster Stelle, von seinem Präsidenten, unterstützt.
Ende Mai liess Recep Tayyip Erdogan anlässlich des Jahrestages der Eroberung Konstantinopels durch die Ottomanen in der Hagia Sophia den Koran verlesen und feiert den Triumph der Vorfahren der heutigen Türkei: «Wir haben nicht nur Istanbul erobert, wir haben Jahrhunderte verbracht, um noch mehr Schönheiten dieser Stadt hinzuzufügen.»
Orthodoxe Christen fühlen sich ausgeschlossen
Für Mihail Vailiadis, Herausgeber der einzigen griechischsprachigen Zeitung in der Türkei, sind das Warnsignale. Das Pochen auf souveräne Entscheidungen, auch in Glaubensfragen, berge eine Gefahr für ethnische und religiöse Minderheiten. «Wenn Souveränität bedeutet: Ich mache und entscheide, was ich will, egal wie das Gesetz lautet, wer garantiert dann unsere Sicherheit und Integrität?»
Denn mit dem neuen Status Quo der Hagia Sofia als Moschee würden die orthodoxen Christen in der Türkei völlig ausgeschlossen sein. Denn schliesslich war die Hagia Sophia lange Zeit auch religiöser Mittelpunkt der Orthodoxie. Zumindest als staatliches Museum aber konnte der Monumentalbau seine Eigenständigkeit zwischen den Regionen verteidigen.