Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht unter Druck: Seine Beliebtheit im Volk sinkt, gleichzeitig wird die Opposition stärker. Jetzt greift Erdogan in die Trickkiste, um wieder beliebter zu werden: Er will in Istanbul die ehemalige byzantinische Kirche und bekannte Sehenswürdigkeit Hagia Sophia in eine Moschee umwandeln. Türkei-Kenner Thomas Seibert sieht darin einen Hinweis, dass Erdogan vorzeitige Neuwahlen ansetzen und diese auch gewinnen will.
SRF News: Was steckt hinter den Plänen Erdogans?
Thomas Seibert: Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist eine alte Forderung islamistischer Kreis in der Türkei. Bisher sperrte sich Erdogan dagegen, doch jetzt lässt er den rechtlichen Rahmen dafür prüfen. Seine Partei AKP hat für Juli entsprechende Schritte angekündigt.
Wie stark ist die Opposition gegen die Pläne, aus der ehemaligen Kirche erneut eine Moschee zu machen?
Viele Türken sind dagegen, darunter etwa der Bürgermeister Istanbuls, Ekrem Imamoglu von der CHP. Er sagt, die Türkei habe andere Sorgen, als sich jetzt um so etwas zu kümmern.
Viele Türken sind gegen eine Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Darunter ist auch der Bürgermeister von Istanbul.
Einsprüche kommen auch aus Griechenland oder von der armenischen Kirche. Im Juli wird nun zunächst das höchste Verwaltungsgericht seinen Entscheid bekannt geben, anschliessend wird wohl die Regierung tätig werden.
Wieso ändert Erdogan gerade jetzt seine Meinung und will aus der Hagia Sophia wieder eine Moschee machen?
Die Umfragewerte für Erdogan und seine rechtsnationalistische Partnerin MHP sind derzeit sehr schlecht. AKP und MHP hätten wohl keine Mehrheit, wenn jetzt gewählt würde. Grund ist vor allem die schlechte Wirtschaftslage. Erdogan denkt sich wohl, dass die Wirtschaftslage bis in drei Jahren, wenn der reguläre Wahltermin ansteht, kaum viel besser wird. Deshalb tritt er die Flucht nach vorne an und setzt zu vorgezogenen Neuwahlen an.
Erdogan setzt zu vorgezogenen Neuwahlen an.
Angeheizt werden diese Spekulationen durch Pläne der AKP, das Wahlrecht zu ändern. Das müsste man ja nicht jetzt tun, wenn man von Wahlen erst in drei Jahren ausginge. Hinzu kommt die Sache mit der Hagia Sophia, die vor allem islamistisch-nationalistische Kreise freuen würde.
Was haben Erdogan und seine Regierung bisher unternommen, um die Wirtschafts- und Währungskrise zu bekämpfen?
Die Regierung versucht vor allem mit billigen Krediten an Unternehmen und Private, den Konsum anzukurbeln. Doch die Konsumenten halten sich bislang zurück, Geld auszugeben. Sie trauen dem Braten nicht so richtig. Die Coronakrise hat die Türkei stark zurückgeworfen, denn das Land kam just aus einer Rezession heraus, als die Pandemie zuschlug. Deshalb steht es jetzt sehr schlecht um die Wirtschaft, auch der Tourismus liegt darnieder.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.