Demos im ganzen Land: Zehntausende Menschen haben in Russland gegen eine umstrittene Erhöhung des Rentenalters demonstriert. In zahlreichen Städten mobilisierten Gewerkschaften, die Kommunistische Partei und linke Gruppen ihre Anhänger und riefen Ministerpräsident Dmitri Medwedew zum Rücktritt auf.
Acht Jahre länger arbeiten: Die Regierung will das Rentenalter bis 2034 schrittweise anheben. Männer sollen statt wie bisher mit 60 künftig mit 65 Jahren in Rente gehen, Frauen sollen acht Jahre länger arbeiten – bis 63. Stand Januar 2018 leben in Russland rund 46 Millionen Rentner, das entspricht etwa 32 Prozent der Bevölkerung, die Durchschnittsrente beträgt umgerechnet rund 230 Franken.
Mehrheit gegen Reform: Den unabhängigen Meinungsforschern vom Lewada Zentrum zufolge lehnen rund 90 Prozent der Russen die Reform ab. Unmut hatte auch der Zeitpunkt gebracht: Die Regierung hatte die Pläne am 14. Juni im Schatten der Eröffnung der Fussball-Weltmeisterschaft mitgeteilt, als das ganze Land in Vorfreude auf das Turnier schwelgte.
Lebenserwartung tiefer als Rentenalter: Gewerkschaftler brachten eine Online-Petition auf den Weg, die rund 2,9 Millionen Menschen (Stand Samstag) unterzeichnet haben. Darin argumentieren sie, dass in Dutzenden Gebieten Russlands die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer unter 65 Jahren liege. «Eine Umsetzung der vorgeschlagenen Erhöhung des Rentenalters heisst, dass ein grosser Teil der Bürger nicht bis zur Rente überleben wird.» Im russischen Durchschnitt ist die Lebenserwartung für Männer etwa 67 und für Frauen rund 77 Jahre.
Widerstand im Parlament: Welch soziale Sprengkraft das Projekt birgt, zeigen auch Auseinandersetzungen im Parlament. Während die Regierungspartei Geeintes Russland das Gesetz in erster Lesung fast geschlossen durchwinkte, formierte sich in der eigentlich als systemnah geltenden Opposition Widerstand.
Was sagt Putin? Nur einer hielt sich lange bedeckt zu dem unpopulären Projekt: Gut einen Monat dauerte es, bis sich Präsident Wladimir Putin äusserte. Ihm gefalle die Erhöhung des Eintrittsalters nicht, doch sie sei notwendig, sagte er. Putin stellte sich demonstrativ hinter seine Regierung.
Pensionsalter nur Theorie: Experten weisen darauf hin, dass in Russland das Pensionsalter ohnehin für viele nur Theorie sei. Nach Angaben der Statistikbehörde Rosstat arbeiten rund 40 Prozent der Männer zwischen 60 und 65 sowie der Frauen zwischen 55 und 63 Jahren trotz ihrer Pension weiter. Gut 20 Prozent stehen Umfragen zufolge noch darüber hinaus in Lohn und Brot. So sei die Rente in Russland für Geringverdiener ein zweites Einkommen, um einen würdigen Lebensstil garantieren zu können, erklärt die Zeitung «Wedomosti».