Sind aller guten Dinge drei? Jedenfalls haben die EU-Botschafter heute vorgeschlagen, den Brexit auf britischen Antrag hin ein drittes Mal zu verschieben. Die formelle Zustimmung der Briten und der übrigen Mitgliedsstaaten dürfte bloss Formsache sein. Die EU würde Grossbritannien erneut eine «flexible Verlängerung» der Mitgliedschaft gewähren – eine «Flextension» im EU-Jargon –, und zwar bis 31. Januar. «Flexibel», weil Grossbritannien bereits früher austreten könnte.
Der «No Brexit» als Ziel?
Unklar ist allerdings, ob es den britischen Politikern in den kommenden drei Monaten gelingen wird, die Brexit-Blockade zu lösen. Gleichzeitig stellt jeder Verschiebungs-Entscheid die EU vor gleich mehrere Dilemmas. Hinter den Kulissen in Brüssel ringt die EU jedes Mal über die richtige Brexit-Strategie.
EU-Ratspräsident Donald Tusk und andere EU-Spitzenpolitiker haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie «No Brexit» für den besten Ausgang der Brexit-Saga hielten. Sie hoffen, dass die Brexit-Wahrscheinlichkeit mit jeder weiteren Verschiebung immer geringer wird. Weil er der entscheidungsunfähigen politischen Klasse in London noch mehr Zeit gibt, den Brexit zu zerreden. Einziger Ausweg scheint die Parlaments-Neuwahl zu sein, die Premierminister Boris Johnson vorgeschlagen hat – ob er dafür in ebendiesem Parlament die nötige Mehrheit finden wird, ist allerdings unklar.
Frankreichs Interessen
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat andere Beweggründe. Er sieht im Austritt des Rivalen Grossbritannien vor allem Vorteile. Das relative Gewicht Frankreichs im Machtgefüge der EU nähme zu. Daher wollte Macron den Briten bloss eine Verschiebung um wenige Wochen gewähren und so den Druck auf einen raschen Brexit erhöhen.
Doch Macron steht damit ziemlich allein, wie der heutige Beschluss der EU-Botschafter zeigt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Frankreich auf einen Brexit-Machtzuwachs hofft, sich aber nun nicht durchzusetzen vermag.
Einmischen oder nicht?
Hinzu kommt aus Sicht der EU ein weiteres Brexit-Dilemma: Wie weit will, wie weit muss sie sich in die britische Innenpolitik einmischen? Aus der Kampagne zur Brexit-Abstimmung 2016 hatte sich die EU völlig herausgehalten. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte dies im Nachhinein als Fehler bezeichnet.
Mit der Entscheidung für eine lange und gegen eine kurze Brexit-Verschiebung bezieht die EU unweigerlich Position: für das britische Parlament, das mit der Verabschiedung des sogenannten Benn-Gesetzes mehr Bedenkzeit forderte – und gegen Boris Johnson, der die vermeintliche Gunst der Stunde nutzen und seinen Brexit-Deal rasch durchs Parlament bringen wollte.
Nicht völlig ausgeschlossen, dass Anfang kommenden Jahres die vierte Verschiebung beschlossen wird. Die «No Brexit»-Strategie hätte einen weiteren Erfolg verbucht – mithilfe der Unfähigkeit des britischen Parlaments, in der Brexit-Frage irgendeinen Entscheid zu treffen.