- Erstmals seit dem Friedensschluss in Kolumbien 2016 geht die Justiz gegen die Führung der Farc-Guerilla vor.
- Das Gericht klagt die ehemaligen Rebellen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an.
- In Kolumbien, das in den 90er-Jahren und zu Beginn dieses Jahrhunderts das Land mit den meisten Entführungen der Welt war, wird diese Anklage in die Rechtsgeschichte eingehen.
Die Installation einer Sonderjustiz zur Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts war einer der Inhalte des Friedensvertrags von 2016. Diese Sonderjustiz verfolgt die schwersten Verbrechen des 50-jährigen Bürgerkrieges. Darunter gehören Entführungen.
Schwere Menschenrechtsverstösse
Das Gericht ist der Ansicht, dass der Freiheitsentzug von Zivilisten durch die Farc schwerwiegende Verstösse gegen die Menschenrechte darstellten. Richterin Julieta Lemaitre: «Bei den Entführungen wurden die Opfer angekettet und gefesselt als Form der Bestrafung und Demütigung; dazu Gewalt und Verhöhnung; die totale Verletzung der Privatsphäre.»
Die Farc-Guerilla verschleppte über mehrere Jahrzehnte lang über 20'000 Menschen, um mit dem erpressten Lösegeld ihren bewaffneten Kampf gegen den Staat zu finanzieren. Eine der bekanntesten Geiseln war die damalige Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Ingrid Betancourt. Ihre gewaltsame Befreiung im Jahr 2008 nach mehr als sechs Jahren Geiselhaft im kolumbianischen Dschungel ging um die Welt.
Die meisten anderen Opfer litten und leiden weiterhin still.
Seit 2002 warten wir auf eine Wiedergutmachung. Nun muss sich die Farc endlich für ihre Taten juristisch verantworten und uns Geld geben.
Die Farc hat vor 19 Jahren den Onkel von Alejandro Arevalo umgebracht. Darauf floh Alejandro mit seiner Mutter aus dem Dorf. Auf der Flucht entführten die Rebellen seine Mutter und vergewaltigten sie während zwei Wochen. Für den 30-jährigen Arevalo ist die juristische Aufarbeitung wichtig. «Ich wurde zum Opfer, weil ich aus dem Dorf vertrieben und meine Mutter entführt wurde. Seit 2002 warten wir auf eine Wiedergutmachung. Nun muss sich die Farc endlich für ihre Taten juristisch verantworten und uns Geld geben.»
Geld oder Gefängnis
Die Farc hat nun 30 Tage Zeit, um zu entscheiden, ob sie die Verantwortung für die Verbrechen übernimmt. Sollten die Ex-Kommandanten zu ihren Taten stehen, müssen sie nicht ins Gefängnis, aber unter anderem die Entschädigung der Opfer übernehmen. Wenn sie das Urteil nicht akzeptieren, drohen ihnen 20 Jahre Gefängnis.
Diese Sonderjustiz zur Aufarbeitung des Bürgerkrieges wird immer wieder kritisiert von den rechten Gegnern des Friedensprozesses um den ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe. Sie unterstellen der Sonderjustiz stets, sie würde bei der Farc mit anderen Massstäben messen und die Guerilla mit Samthandschuhen anpacken. Dieser Vorwurf ist nun mit der Anklage wegen Kriegsverbrechen entkräftet.
Es ist ein guter erster Schritt für die kolumbianische Justiz.
Der Anwalt und Professor für Menschenrechte an der Universität Javeriana in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota, Pedro Silva Vargas, sagt, die Schärfe der Anklage überrasche: «Wir können sagen, es ist ein guter erster Schritt für die kolumbianische Justiz. Sie kann nun mit gleicher Härte auch gegen die Verbrechen vorgehen, die von anderen Akteuren im bewaffneten Konflikt begangen wurden.»
Der Weg zu einer vollständigen Aufarbeitung der Gewalt, für die auch Paramilitärs und andere bewaffnete Gruppen verantwortlich sind, ist damit frei.