Die Region Ost-Ghuta liegt nur wenige Kilometer vor den Toren von Damaskus. Die Gegend ist eine der letzten Hochburgen islamistischer Rebellen in Syrien. Nun wollen die syrische und russische Luftwaffe Ost-Ghuta offenbar sturmreif schiessen, bevor Assads Bodentruppen einrücken.
Die humanitäre Lage ist katastrophal. Einer, der trotz unübersichtlicher Situation über Berichte aus erster Hand verfügt, ist Elias Perabo. Seine deutsch-syrische Hilfsorganisation «Adopt a Revolution», die der syrischen Opposition nahe steht, pflegt rege Kontakte in das betroffene Gebiet.
SRF News: Herr Perabo, Sie haben Kontakt zu den eingeschlossenen Menschen. Was erfahren Sie?
Elias Perabo: Es ist ganz schwer in Worten zu beschreiben. Es ist so, dass dieses Gebiet bereits seit Ende 2012, Anfang 2013 belagert wird. Die Situation war immer schlimm. Die Menschen wurden ausgehungert. Wir hatten Giftgasangriffe auf das Gebiet. Schon damals gab es ein permanentes Bombardement.
Aber was in den letzten fünf Tagen passiert ist, das ist eine ganz neue Situation.
Wie hat sich die Situation verändert?
Es kam es zu massiven Bombardements. Es hat angefangen mit Raketenbeschuss auf die unterschiedlichen Gebiete. Teilweise sind 500 Raketen in wenigen Stunden runtergekommen. Dann ein permanentes Bombardement durch Kampfjets. Und seit einigen Tagen sind die Helikopter des Regimes zurück, nach vier Jahren.
Für die Bevölkerung besteht gar keine Chance, nach draussen zu gehen.
Die Helikopter werfen Fassbomben auf die Bevölkerung ab. Das heisst, für die Bevölkerung selber besteht gar keine Chance, nach draussen zu gehen. Sie sind im Keller und harren einfach die Geschehnisse aus.
Wie ist es möglich, Kontakt mit den Leuten in der Gegend aufzunehmen?
Wenn die Menschen in einem Bunker sind, ist es sehr schwierig, Kontakt aufzunehmen. Wenn sie Angst haben, dass sie im Bunker verschüttet werden könnten und in den Häusern bleiben, dann können wir skypen, eventuell telefonieren, je nach Internetverbindung.
Können Sie uns ein Beispiel geben, was Sie durch einen Ihrer Kontakte in den letzten Tagen und Stunden erfahren haben?
Ich hatte Kontakt mit der Leiterin eines Frauenzentrums in Duma, das ist der grösste Ost in der Region Ost-Ghuta. Sie hat uns gesagt, dass morgens kurz vor 7 Uhr die Sirenen losgegangen sind. Dann hat man zwei, vielleicht drei Minuten Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.
‹Sicherheit› bedeutet dort aber nicht wirklich Sicherheit. So bedeutet Keller nicht mehr als das, was die Leute selber ausgehoben haben. Die Leiterin sagte mir, dass sie in solchen Kellern wahnsinnige Angst hätten, verschüttet zu werden. Deshalb hat sie sich entschlossen, mit ihrer Familie nicht den Keller aufzusuchen.
Es gibt keinen Ort, der noch sicher ist.
Das ist die Situation für viele Menschen. Denn es gibt keinen Ort, der noch sicher ist. Man kommt nicht raus. Es sind 400'000 Menschen, die dort leben. Das ist der Alltag, dem die Menschen ausgesetzt sind. Und vom Himmel droht der Tod durch ständig fallende Bomben.
Wie überleben die Menschen? Wie steht es um humanitäre Güter wie etwa Lebensmittel?
Es kommen keine Güter mehr rein. Und das ist die Strategie des Regimes. Wir erleben eine sehr ähnliche Situation wie damals in Aleppo. Es geht dem Regime nicht primär darum, dieses Gebiet militärisch einzunehmen. Das ist mehr oder weniger unmöglich, weil es noch viele Milizen gibt, die das derzeit verhindern würden.
Es ist nicht ein Krieg, in welchem es zufällig zivile Opfer gibt. Es ist explizit ein Feldzug gegen die Zivilbevölkerung.
Vielmehr ist der Krieg darauf ausgelegt, die Lebenssituation der Zivilisten nicht mehr lebenswert zu machen. Es ist nicht ein Krieg, in welchem es zufällig zivile Opfer gibt. Es ist explizit ein Feldzug gegen die Zivilbevölkerung.
Es werden explizit Krankenhäuser getroffen, Lager, in denen Lebensmittel gelagert werden, Bäckereien, Schulen. Ähnlich wie in Aleppo geht es darum, das Leben unmöglich zu machen. So, dass sich die Bevölkerung früher oder später dem Regime ergeben muss.
Also eine gezielte Strategie?
Ja. Es gibt verschiedene Indizien, die darauf hinweisen. Wir sehen zum Beispiel, dass am Boden selber, also an den Fronten in Richtung Damaskus, aber auch an den anderen Fronten, da wird gar nicht gekämpft.
Der Tod kommt aus der Luft.
Der Tod kommt aus der Luft. Und der Tod kommt auch sehr unspezifisch – grösstenteils werden keine gelenkten Waffen eingesetzt, sondern es werden Fassbomben von Helikoptern geworfen, die sehr unpräzise sind und einfach irgendwo in Wohngebieten landen. Wir sehen, dass viele Drohnen in der Luft sind, welche die Situation beobachten.
Was erwartet die Bevölkerung, wenn Assads Bodentruppen in der Region einmarschieren sollten?
Ich glaube, die Bevölkerung hat sehr grosse Angst davor. Und das ist der grosse Unterschied zu Aleppo momentan. In Aleppo haben wir gesehen, dass islamistische Truppen die Bevölkerung daran gehindert haben, die Gebiete zu verlassen. Die Menschen wurden also als Schutzschilde missbraucht. Kein Partner in keinem Gespräch hat mir ähnliches aus Ghuta erzählt.
Die Angst ist so gross, dass viele lieber in den Bunkern oder in der Wohnung ausharren. Dort waren nämlich viele Menschen unmittelbar von der Repression des Regimes, von Folter und Gefängnis und andere Bedrohungen betroffen.
Die aktuelle Situation ist genauso schlimm, wie wenn die Bodentruppen einmarschieren würden.
Das ist richtig. Und wir haben die Leute natürlich immer wieder gefragt: ‹warum ergebt ihr euch nicht? Warum harrt ihr in dieser schrecklichen Situation aus?› Es gibt für die Menschen eine ganz einfache Antwort: ‹Ob ich hier in den Bunkern sterbe oder später in den Folterknästen des Regimes, macht für mich keinen Unterschied. Und ich will lieber sozusagen in der Freiheit – also im Bunker – sterben, als mich dem Regime zu ergeben.›
Der Uno-Sicherheitsrat will sich mit der Situation in Ost-Ghuta beschäftigen. Aber konkrete Hilfe gibt es nicht. Was kann die Weltöffentlichkeit tun?
Ich denke die Weltöffentlichkeit, also vor allem der Westen, hat sich in diesem Konflikt – beschämenderweise – vergaloppiert. Das Assad-Regime selbst weiss: egal welche Völkerrechtsverletzungen es begeht, egal wie brutal und rücksichtslos es vorgeht – dass der Westen faktisch nicht eingreifen wird. Das hat die Vergangenheit gezeigt, und das ist momentan auch wieder der Fall.
Russland ist eigentlich für die betroffenen Gebiete die Schutzmacht. Das heisst, Russland hat in der Vergangenheit zugesichert, dort für Frieden zu sorgen. Stattdessen beteiligt es sich jetzt selber am Bombardement. Ich glaube, es ist auch ein ganz schwarzer Moment in der europäischen Geschichte; dass wieder einem Massaker vor den Toren Europas zugeschaut wird.
Es ist ein ganz schwarzer Moment in der europäischen Geschichte; dass wieder einem Massaker vor den Toren Europas zugeschaut wird.
Es braucht einen humanitären Korridor. Die Menschen müssen die Gelegenheit haben, nicht nur das Gebiet zu verlassen, sondern es muss auch dafür geschaut werden, dass nicht weiter Krieg gegen die Zivilisten geführt wird, dass dieser unsägliche Krieg gegen die Zivilbevölkerung sofort aufhört. Das geht nur über Russland. Und da müssen die EU und der Rest der Welt massiv Druck ausüben.
Sehen sie Anzeichen, dass dieser Druck ensteht?
Nein, das sehen wir leider nicht. Wir sehen, dass die USA massiv mit sich selbst beschäftigt ist. Wir sehen, dass Europa zwar hinschaut, bedauert, aber sich nicht durchringt, härtere Massnahmen zu ergreifen, obwohl hier ganz klare völkerrechtliche Verbrechen vorliegen und wir sozusagen die Massaker im Minutentakt live mitverfolgen können, die dort passieren.
Das Gespräch führte Daniel Eisner.