Es ist eine der blutigsten Eskalationen im Westjordanland seit rund 20 Jahren: Das israelische Militär ist am Donnerstagabend in ein Flüchtlingslager in Dschenin eingedrungen, um einen Terroranschlag zu verhindern, wie Israel sagt. Dabei sind neun Menschen ums Leben gekommen, zwei Dutzend wurden verletzt. Die palästinensische Regierung hat drei Trauertage angeordnet.
Die Reaktion folgte prompt: Militante Palästinenser feuerten fünf Raketen auf Israel ab, dieses bombardierte daraufhin laut israelischen Angaben eine unterirdische Produktionsstätte für Militärraketen der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen. Laut israelische Medienberichten muss man sich auf eine mögliche Eskalation des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern einstellen. Die Fronten im 75 Jahre alten Nahost-Konflikt sind verhärtet.
Der neue Sicherheitsminister Israels gehörte früher einer terroristischen Jugendorganisation an, die als so extremistisch eingestuft wurde, dass er vom israelischen Militärdienst ausgeschlossen wurde.
Erst jüngst hat Israel eine neue, konservative Regierung gewählt. Diese will einen harten Kurs gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser fahren. Die jüngste Aktion gehe aber wohl nicht auf deren Konto, sagt SRF-Korrespondentin Susanne Brunner. Aber: «Erst vor einigen Tagen hatte der neue Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir einen neuen Gazakrieg heraufbeschworen. Ben-Gvir gehörte in seiner Jugend einer terroristischen Jugendorganisation an, die als so extremistisch eingestuft wurde, dass der heutige Minister vom israelischen Militärdienst ausgeschlossen wurde.»
Haltung Israels spielt Hamas in die Hände
Er und andere rechtsextreme Minister fordern die Annexion der palästinensischen Gebiete im Westjordanland und den ungehinderten Ausbau jüdischer Siedlungen. «Diese Haltung befeuert die Verunsicherung und die Wut in den Palästinensergebieten.» Das wiederum nutzen extremistische palästinensische Terrorgruppierungen wie etwa die Hamas aus, um junge, arbeitslose Männer zu rekrutieren und Terroranschläge in Israel zu planen und durchzuführen.
Die Hamas wird von der EU als Terrororganisation eingestuft. Seit einer Serie von Anschlägen in Israel unternimmt die israelische Armee im Westjordanland vermehrt Razzien. «Obwohl Razzia wohl ein zu schöner Begriff ist. Die jüngste Aktion in Dschenin war eine militärische Aktion», sagt Brunner. Dieses Jahr wurden bereits 30 Palästinenser in Zusammenhang mit Militäreinsätzen oder eigenen Anschlägen getötet, darunter fünf Jugendliche. Im vergangenen Jahr waren es 172 – so viele wie zuletzt 2006.
Wut auf palästinensische Regierung
Dschenin gilt als eine Hochburg militanter Palästinenser. Die Palästinensische Autonomiebehörde kündigte am Abend die Zusammenarbeit mit Israel in Sicherheitsfragen auf. Als Grund nannte die Behörde einseitige Schritte und Massnahmen Israels im Westjordanland sowie die Vorfälle in Dschenin.
Ähnliche Ankündigungen hatte die Autonomiebehörde bei früheren Gelegenheiten gemacht – sie wurden allerdings nicht umgesetzt. «Die Wut der jugendlichen Palästinenser und Palästinenserinnen richtete sich bei einer Demonstration am Donnerstag nicht nur gegen die Israelis, sondern auch gegen die eigene Regierung», so Brunner.
Der Islamische Dschihad ist besonders im Gazastreifen aktiv und verübt von dort aus regelmässig Raketenangriffe auf Israel. Im Sommer hatte die israelische Armee einen grossangelegten Militäreinsatz gegen führende Mitglieder des Islamischen Dschihads begonnen. Diese liessen daraufhin mehr als 1000 Raketen vom Gazastreifen auf israelische Ortschaften abfeuern. Nach dreitägigen Kämpfen wurde eine Waffenruhe vereinbart.