Mehr Entwicklungshilfe, wenn es im Gegenzug mehr Kooperation bei der Flüchtlingspolitik gibt – dieser Ansatz hat im Falle Spaniens gegenüber Marokko bis zu einem gewissen Grad funktioniert.
SRF News: Lässt sich diese Idee auf andere afrikanische Länder übertragen?
Patrick Wülser: Die EU praktiziert diesen Ansatz auf dem ganzen Kontinent, sie nutzt alle Spielarten, um Menschen dazu zu bewegen, in ihren Ländern zu bleiben. Sie bildet Polizisten aus, oder finanziert militärische Friedenseinsätze wie zum Beispiel in Somalia. Aber auf der anderen Seite investiert die EU auch in die Infrastrukturen der Länder, um die Lebensbedingungen zu verbessern.
In Eritrea zum Beispiel ist die Stromversorgung höchst prekär, selbst die Hauptstadt liegt nachts oft im Dunkeln. Die EU ist mit einem Botschafter in Asmara präsent und investiert Millionen in die erneuerbaren Energien. Selbstverständlich tut man da nicht nur Gutes, sondern verknüpft es mit eigenen Interessen, beispielsweise mit Wohlverhalten im Migrationsdossier.
Auch die Schweiz hat ja ziemlich viele Migranten aus Eritrea. Hat sie ähnliche Mittel bereit, um das Regime in Asmara zu mehr Kooperation zu bringen?
Sie hätte die Mittel, aber die Schweiz verfolgt in Eritrea eine ganz andere Politik. Sie ist in Asmara nicht präsent, weder diplomatisch noch in der Entwicklungszusammenarbeit. Der Bundesrat stellt sich auf den Standpunkt: «Wir arbeiten nicht mit einer Diktatur zusammen». Man könnte es aber auch so sehen: «In dem Land, aus dem die meisten Flüchtlinge herkommen, ist es wichtig, einen Brückenkopf zu haben», eine Basis von der aus man die Entwicklungszusammenarbeit leisten, die Infrastruktur verbessern sowie die Lebensqualität der Menschen und dabei auch dezidiert Forderungen vertreten könnte, wie das eben die EU oder auch das Rote Kreuz machen.
Europa stöhnt über den Flüchtlingsstrom, aber im viel ärmeren Afrika sind die Flüchtlingszahlen um vieles höher. Nimmt man dort die europäischen Sorgen überhaupt ernst?
Wenn man die Zeitungen liest, könnte man den Eindruck haben, dass das eher ein Randthema ist. Die europäische Flüchtlingsdiskussion findet am Ende der Zeitung statt. Auf der Strasse diskutieren die Menschen durchaus. Sie sind ein bisschen erstaunt, was wir für ein Problem machen mit unseren Grenzen. Hier auf diesem Kontinent sind Grenzen grundsätzlich offen. Migration gehört zum Alltag.
Eine wichtige Ursache, dass Menschen eben den Kontinent Afrika verlassen, sitzt auf Malta an dieser Konferenz mit am Verhandlungstisch.
Aber eine wichtige Ursache, dass Menschen eben den Kontinent Afrika verlassen, sitzt auf Malta an dieser Konferenz mit am Verhandlungstisch. Es sind afrikanische Regierungen, die sich wenig um das Wohlergehen ihrer Bürger kümmern. Diese plündern ihre Länder und stürzen sie teilweise auch in Bürgerkriege, wie wir das zurzeit in Burundi erleben. Und das Wichtigste, was wahrscheinlich viele Afrikaner motivieren könnte, ihre Länder nicht zu verlassen, ist nicht nur Geld, sondern die Aussicht auf ein normales, menschenwürdiges Dasein.
Die Staats- und Regierungschefs, die dieses menschenwürdige Dasein teilweise mitverhindern, die sind gar nicht besonders interessiert an der Zusammenarbeit mit Europa?
Die sind sicher an Investitionen in die Wirtschaft und in Infrastrukturen interessiert, aber ob die Regierungen wirklich ein Interesse haben, dass ihre Leute zu Hause bleiben, sie aufzuhalten oder sie wieder zurückzunehmen, daran kann man zweifeln. Dann müssten sie sich nämlich um ihre Bürgerinnen und Bürger kümmern.
In Ländern wie in Eritrea oder Somalia sind die Flüchtlinge zudem eine wichtige Einnahmequelle, man schätzt, dass die Hälfte des Bruttoinlandproduktes in Eritrea durch Geldüberweisungen aus dem Ausland zusammenkommt. Und für viele Autokraten – ich habe vorhin Burundi erwähnt – ist es wohl ganz recht, wenn die Opposition das Land verlässt.
Das Gespräch führte Daniel Nauer.