Darum geht es: Am EU-Gipfel in Brüssel wird die Rolle Chinas in der EU-Wirtschaft besprochen. Eine der Wortführerinnen dabei ist die finnische Regierungschefin Sanna Marin. Finnland hat die längste Landgrenze zu Russland, und für Finnland war der Krieg in der Ukraine ein Schock. «Marin fordert die Kolleginnen und Kollegen aus der EU dringlich auf, aus alten Fehlern zu lernen», sagt SRF-EU-Korrespondent Charles Liebherr, der die Debatte beobachtet hat. Marin dränge darauf, die Abhängigkeiten von China – gerade im Technologiesektor – früher und nachhaltiger abzubauen, als dies im Falle von Russland geschehen sei. Ähnlich sehen dies auch die baltischen Staaten und einige osteuropäische Länder, so Liebherr.
Bereits stark mit China verknüpfte Länder: Frankreich und Deutschland haben zurzeit enge wirtschaftliche Beziehungen zu China. Zwar versuchen sie, im Hinblick auf die Uigurenfrage, sich etwas zu distanzieren. Doch Wunder dürfe man nicht erwarten, sagt Liebherr. «Denn die Exportunternehmen in diesen Ländern schaffen immer noch viel Wohlstand und generieren Arbeitsplätze. Sie profitieren noch immer stark vom Handel mit China.»
Das Bewusstsein wächst, dass es falsch war, nur auf eine Karte zu setzen.
Produktionsrückverlagerung nach Europa braucht Zeit: Der Lieferengpass an medizinischen Masken aus China, der während der Pandemie auftrat, habe die Haltung der europäischen Länder verändert, sagt der EU-Korrespondent. Die Produktion gewisser Güter sei tatsächlich nach Europa zurückgekehrt. «Man hat gesehen, dass dies sehr teuer ist und dass es viel Zeit braucht.» Es werde deshalb auch nach Alternativen bei verlässlichen Partnern gesucht. Liebherr fasst zusammen: «Das Bewusstsein wächst, dass es falsch war, nur auf eine Karte zu setzen.»
Forderung der USA: Die USA wollen die EU dazu bringen, sich gegen China zu entscheiden, schliesslich verteidigten die EU und die USA westliche Werte. Theoretisch wäre es schon möglich, dass die EU sich wirtschaftlich von China löst, sagt Liebherr. «Doch es ist gar nicht das Ziel der EU-Staaten, sich ganz von China zu distanzieren. In diesem Punkt unterscheidet sich die EU strategisch von den USA.»
Veränderte Prioritäten: China bleibe auch in Zukunft Partner der EU, auch in der Klimapolitik, sagt Liebherr. China bleibe auch ein Wettbewerber im wirtschaftlichen Sinn. Was Demokratie und Menschenrechte anbelangt, bleibe China ein Rivale, so der SRF-Korrespondent. «In diesem Dreieck verschieben sich im Moment aber die Gewichte», meint Liebherr. Manchen Ländern gehe dies allerdings zu langsam.
Vor ein paar Jahren wäre es keine Frage gewesen, man hätte einfach hingenommen, dass ein Teil des Hafens in Hamburg einem chinesischen Unternehmen verkauft wird.
Das Beispiel des Hamburger Hafens: Ob ein Teil des Hafens an China verkauft werden darf, werde nun offen diskutiert, sagt Liebherr. «Die mahnenden Stimmen in Deutschland sind viel lauter. Vor ein paar Jahren wäre dies gar keine Frage gewesen, man hätte es einfach hingenommen.» Das sei eine Folge der Pandemie und des Ukraine-Kriegs. Man wisse jetzt, dass Häfen kritische Infrastrukturen sind und dass diese auch angegriffen werden können. «Deshalb haben viele Länder den deutschen Bundeskanzler gewarnt, nicht kurzfristig zu denken, sondern langfristig strategisch das Wohl Europas zu berücksichtigen.»