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EU-Mitgliedschaft Das ist wichtig bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine

Die EU und die Ukraine starten Beitrittsverhandlungen. Im Dezember 2023 hatten die 27 EU-Staats- und Regierungschefinnen die EU-Kommission damit beauftragt, die Verhandlungen vorzubereiten. Auch Moldau startet in einem separaten Prozess entsprechende Verhandlungen. Der Beginn des Prozesses ist klar festgelegt – das Ende ist völlig offen. Die Verhandlungen könnten Jahre dauern. EU-Korrespondent Charles Liebherr schätzt die Situation ein.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Warum will die Ukraine EU-Mitglied werden?

Fast zeitgleich mit dem Beginn der kriegerischen Angriffe Russlands im Februar 2022 beantragte die Ukraine formell einen EU-Beitritt. Die Ukraine sieht die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes in der EU. Die Ukraine zählt sich den demokratischen und kulturellen Werten der EU zugehörig und will wirtschaftlich davon profitieren, Teil des europäischen Binnenmarktes zu werden. Die Ukraine will sich als Vollmitglied der EU auch zu Russland abgrenzen.

Assoziationsabkommen von 2017

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Dieser Vertrag zwischen der EU und der Ukraine gewährte der Ukraine in einzelnen Sektoren eine engere Kooperation mit EU-Staaten – zum Beispiel in der Forschungskooperation. Teil des Assoziationsabkommen ist auch ein Freihandelsvertrag. Die Ukraine kann dadurch vereinfacht bestimmte Produkte in den EU-Binnenmarkt exportieren.

Warum beginnen die EU-Beitrittsverhandlungen gerade jetzt?

Mit dem raschen Beginn der Verhandlungen will die EU ein Zeichen der Solidarität setzen gegenüber der Ukraine, welche sich militärisch gegen die Invasion Russlands zur Wehr setzen muss – und auch gegenüber Moldau, das politisch stark unter russischer Einflussnahme steht.

Anerkennung von Reformen in der Ukraine und Moldau

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Beide Länder haben trotz schwieriger Voraussetzungen in den letzten Monaten zahlreiche nationale Reformen demokratisch beschlossen und sind nun daran, diese umzusetzen. Die EU machte das zur Vorbedingung. Unter anderem mussten sie griffige Instrumente für die Bekämpfung der Korruption beschliessen oder die Macht von Oligarchen einschränken.

In zwei Berichten von 2022 und 2023 anerkennt die EU-Kommission diese Fortschritte. Der Rat der EU-Staaten bestätigte dies und entschied, das Verfahren voranzutreiben, damit Beitrittsverhandlungen rasch beginnen können.

Ein weiterer Grund für die EU-Kommission, die Verhandlungen noch im Juni 2024 zu starten: Bis Ende Monat hat Belgien die EU-Ratspräsidentschaft inne. Im Juli übernimmt für ein halbes Jahr Ungarn die Ratspräsidentschaft. Ungarns Premier Viktor Orbán hat sich öffentlich gegen den Beitritt der Ukraine zur EU ausgesprochen und an der Abstimmung unter den EU-Staats- und Regierungschefs nicht teilgenommen.

Ukrainische und EU-Flaggen wehen im Wind.
Legende: Korruptionsbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit und Justizreformen haben Priorität in den Beitrittsverhandlungen. IMAGO / H. Tschanz-Hofmann

Ungarn blockiert immer wieder die Umsetzung von Sanktionen gegen Russland. Der ungarische Premier gilt als Freund des russischen Präsidenten Putin. Darum wird Ungarn den Beitrittsprozess der Ukraine wohl kaum unterstützen.

Wie laufen die EU-Beitrittsverhandlungen genau ab?

Mit Blick auf die Beitrittsverhandlungen mit den Ländern des West-Balkans hat die EU den Prozess der Verhandlungen reformiert. Wer neues Mitglied der EU werden will, soll in mehreren Schritten an die EU herangeführt werden.

Schritt für Schritt statt parallele Verhandlungen

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In der Vergangenheit wurden mit Beitrittskandidaten 32 Reform-Dossiers parallel verhandelt: der freie Warenverkehr, die Verkehrspolitik, Justizreformen, Bildung, Wissenschaft, Landwirtschaft und so weiter. Erst, wenn alle Dossiers korrekt umgesetzt waren, entschieden die EU-Staaten in einer Schlussabstimmung über die Aufnahme eines neuen Mitgliedes.

Neu wird nach jeder Etappe entschieden, ob die gestellten Anforderungen erfüllt sind. Als Belohnung rückt mit jeder erfolgreich abgeschlossenen Etappe ein Beitrittsland etwas näher an die EU heran. Die EU-Staaten können auf der anderen Seite mehrmals auf diesem Weg einstimmig entscheiden, die Beitrittsverhandlungen weiterzuführen oder zu blockieren. Am Ende von EU-Beitrittsverhandlungen steht also nicht automatisch auch ein EU-Beitritt. 

Politisch heikel ist die Reihenfolge der Beitrittsschritte: Zuerst müssen grosse Hürden genommen werden, etwa ein Prüfverfahren zur Rechtsstaatlichkeit oder zur Unabhängigkeit der Justiz. Die «einfacheren» Schritte zur wirtschaftlichen Integration folgen erst später.

Voll- oder Teilmitglied?

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Unbestritten ist, dass einige aktuelle EU-Staaten hoffen, dass die Ukraine nur Teilmitglied der EU wird, etwa analog von Norwegen «nur» dem EWR, dem Europäischen Wirtschaftsraum, beitritt. Damit hätte die Ukraine vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt, wäre aber nicht Vollmitglied.

Die Ukraine lehnt das ab. Es kann aber sein, dass diese Option zumindest als Zwischenschritt wieder an Attraktivität gewinnt, zumal die Verhandlungen sehr viel Zeit beanspruchen könnten.

Wann können die Ukraine oder Moldau Mitglieder der EU werden?

Die Ukraine und Moldau können Mitglieder der EU werden, wenn dies alle aktuell 27 EU-Mitgliedstaaten einstimmig beschliessen. Es besteht kein verbindlicher Zeitplan, wann dieser Entscheid gefällt werden muss. Das Beispiel der Türkei zeigt, dass sich die 1999 begonnenen EU-Beitrittsverhandlungen ewig hinziehen können, ohne greifbare Resultate.

Für die Ukraine kommt erschwerend hinzu, dass die EU kein neues Vollmitglied aufnehmen wird, das sich im Krieg mit Russland befindet. De facto eröffnet nur ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine dereinst einmal den Weg, dass die Ukraine auch Mitglied der EU werden kann.

Krieg in der Ukraine

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SRF 4 News, 25.6.2024, 6:00 Uhr

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