Mehr Unterkünfte für Flüchtlinge und verstärkte Grenzkontrollen: EU-Staaten und Westbalkanländer wollen die Flüchtlingsströme auf der Balkanroute verlangsamen.
«Wir werden Flüchtlinge oder Migranten entmutigen, zur Grenze eines anderen Landes der Region zu ziehen», heisst es in einer gemeinsamen Erklärung von Spitzenpolitikern aus betroffenen EU-Ländern und den drei Nicht-EU-Ländern Mazedonien, Serbien und Albanien. «Eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen ohne die Nachbarstaaten zu informieren, ist nicht akzeptabel.»
Angespannte Stimmung
Bei dem Sondertreffen zur Westbalkanroute einigten sich die Staats- und Regierungschefs nach siebenstündigen Beratungen auf einen 17-Punkte-Plan.
Doch die Stimmung war angespannt. Seit Wochen weisen sich die Länder der Region gegenseitig die Schuld zu – so auch in Brüssel. «Jeder ist versucht zu sagen, jemand anders ist Schuld», sagte ein Diplomat am Rande der Gespräche. «Das müssen wir stoppen.»
Hunderte Grenzschützer nach Slowenien
Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic kritisierte Griechenland als Tor für Flüchtlinge in die Europäische Union: «Warum kontrolliert Griechenland nicht sein Seegebiet zur Türkei? Ich weiss es nicht.»
Der Plan sieht unter anderem vor, dass andere EU-Staaten innerhalb einer Woche mehr als 400 zusätzliche Grenzschützer in das vom Flüchtlingsandrang überforderte Slowenien schicken. Ausserdem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex die Grenzen besser absichern, etwa zwischen Griechenland, Mazedonien und Albanien sowie an der kroatisch-serbischen Grenze.
Sofortiger Informationsaustausch
Die Staaten vereinbarten, Migranten entlang der Balkanroute Unterkünfte anzubieten, sie zu registrieren und sofort jeweils eine Kontaktperson auf allerhöchster Ebene benennen, um Informationen auszutauschen.
Täglich strömen Tausende über die Westbalkanroute in Richtung Österreich und Deutschland. Die meist aus dem Bürgerkriegsland Syrien stammenden Menschen kommen über die Türkei in die EU.
«Koordinierteres Management»
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem «wichtigen Treffen dahingehend, dass humanitäre Fragen einer Erklärung zugeführt werden konnten». Es gebe ein «koordinierteres Management», sagte die Kanzlerin: «Dazu haben sich jedenfalls alle verpflichtet.»
Merkel warnte allerdings, das Treffen sei nur «ein Baustein» für eine Lösung: «Nicht lösen können wir das Flüchtlingsproblem insgesamt. Da bedarf es unter anderem natürlich weiterer Gespräche mit der Türkei.» Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic äusserte am Abend wenig Hoffnung auf rasche Fortschritte. «Aber ich bin sicher, dass wir uns wenigstens gegenseitig verstanden haben», sagte er.
- EU-Kommissionspräsident vor Krisengipfel: «Jeder Tag zählt» EU-Kommissionspräsident vor Krisengipfel: «Jeder Tag zählt»
- Flüchtlingskrise: Diese Massnahmen will die EU umsetzen Flüchtlingskrise: Diese Massnahmen will die EU umsetzen
- Flüchtlingskrise wird zum EU-Spaltpilz Flüchtlingskrise wird zum EU-Spaltpilz
Düsteres Bild der Lage
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker malte ein düsteres Bild der Lage auf der Balkanroute: «Es kann nicht sein, dass im Europa (des Jahres) 2015 Menschen sich selbst überlassen werden, dass sie auf dem Feld schlafen und bei eiskalten Temperaturen bis zur Brust durch Flüsse waten.»
Nach Merkels Worten sind «wir alle humanitären, menschlichen Werten verpflichtet (...). Und die Bilder, die wir in den letzten Tagen gesehen haben, haben dem nicht entsprochen, was unsere Werte sind».
«Europa steht auf dem Spiel»
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sieht sein Land, das sich mit Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien abgeriegelt hat, nur noch als «Beobachter» der Flüchtlingskrise. «Ungarn liegt nicht mehr auf der Route», betonte er. Transitstaaten wie Bulgarien, Rumänien und Serbien drohen ebenfalls mit der Schliessung der Grenzen.
Sloweniens Regierungschef Miro Cerar warnte vor dem Ende der EU, wenn Europa die Krise nicht in den Griff bekomme: «Europa steht auf dem Spiel, wenn wir nicht alles tun, was in unserer Macht steht, um gemeinsam eine Lösung zu finden.» In den vergangenen zehn Tagen seien in seinem Land mehr als 60'000 Flüchtlinge angekommen. Umgerechnet auf ein grosses Land wie Deutschland entspräche dies einer halben Million Ankömmlinge in Deutschland pro Tag.
UNO: Legale Einwanderungsmöglichkeiten
UNO-Flüchtlings-Hochkommissar Antonio Guterres forderte: «Das Ziel ist es, ein System zu schaffen (...), in dem jene, die Schutz in Europa brauchen, sich nicht in die Hände von Schmugglern geben müssen.» Es müsse mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten geben und eine Umverteilung von den europäischen Aussengrenzen in alle anderen EU-Staaten.
Insgesamt waren in Brüssel die zehn EU-Länder Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Luxemburg und die Niederlande vertreten sowie die Nicht-EU-Länder Mazedonien, Serbien und Albanien.