Anfang Juni findet die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Trotz aller Streitereien dürfte das rechte Lager zulegen. Wie würde das die Politik in der EU verändern? EU-Korrespondent Andreas Reich erläutert die wichtigsten Fragen.
Kommt es zum Rechtsrutsch?
Laut aktuellen Wahlumfragen können die Rechtsaussen-Parteien im EU-Parlament auf deutliche Zugewinne hoffen. Gleichzeitig muss der grüne und der liberale Block mit deutlichen Verlusten rechnen. Bestätigen sich die Umfragen, würde das EU-Parlament nach den Wahlen vom 6. bis 9. Juni deutlich rechter sein als in den vergangenen fünf Jahren.
Wer gehört zu den rechten Fraktionen?
Die Parteien am rechten Rand bilden keinen einheitlichen Block. Einerseits ist da die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Zu ihr gehören zum Beispiel Parteien wie die polnische PiS oder Fratelli d’Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Noch rechter positioniert ist die Fraktion Identität und Demokratie. Ihr gehören bisher Parteien wie die deutsche AfD, die österreichische FPÖ oder das französische Rassemblement National an. Derzeit keiner Fraktion gehört die ungarische Regierungspartei Fidesz an. Das kann sich nach den Wahlen ändern. Dann werden die Fraktionen neu gebildet. Bei diesem Prozess entscheiden sich einzelne Parteien immer wieder, die Fraktionen zu wechseln.
Wo sind die grössten Konfliktlinien im rechten Lager?
Die grössten Differenzen haben die Rechtsaussen-Parteien in der Aussenpolitik. Grosse Teile der EKR-Fraktion stellen beispielsweise die Unterstützung der Europäischen Union für die Ukraine nicht infrage. Das ist in der ID-Fraktion anders. Parteien wie die AfD oder FPÖ verfolgen einen russlandfreundlichen Kurs. Allerdings hat das EU-Parlament in der Aussenpolitik eine schwache Position. Über die Aussenpolitik der EU entscheiden im Wesentlichen die Regierungen der 27 Mitgliedstaaten.
Auch innerhalb der Fraktionen kommt es immer wieder zu Uneinigkeiten und Streit. Aktuellstes Beispiel ist AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah. Seine verharmlosenden Aussagen zur Waffen-SS haben zum Bruch zwischen AfD und Rassemblement National geführt. Auch die Tatsache, dass die AfD als Reaktion darauf ein Auftrittsverbot für Krah im Europawahlkampf verhängte, dürfte daran nichts ändern. Bereits der Vorwurf, dass ein Mitarbeiter von Krah für China spioniert haben soll, hatte das Verhältnis arg strapaziert. Das rechte Lager könnte nach den Wahlen damit noch zersplitterter dastehen als bisher.
Wo könnte sich ein Rechtsrutsch auswirken?
Den grössten Einfluss hat das EU-Parlament dann, wenn es darum geht, Gesetze zu erlassen. Dazu gehören zum Beispiel der Asyl- und Migrationsbereich oder die Klimapolitik. Insbesondere in der Klimapolitik könnte sich ein rechteres EU-Parlament bemerkbar machen – trotz aller Differenzen. Zwar ist der sogenannte «Green Deal», mit dem die EU ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null reduzieren will, im Grundsatz beschlossen. Doch in der kommenden Legislatur geht es um die Umsetzung.
Die rechten Parteien wollen den «Green Deal» abschwächen – über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Allerdings: Sollten sich die Umfragen bestätigen, dürfen die beiden Rechtsaussen-Fraktionen insgesamt auf rund 160 bis 170 Sitze im künftig 720-köpfigen Parlament hoffen. Allein werden sie nicht viel ausrichten können. Um Mehrheiten zu erreichen, werden die rechten Parteien wie bis anhin auch Partner aus der politischen Mitte brauchen.