Am Dienstagabend um Punkt 21 Uhr fiel in der Malmö Arena unweit der Öresundbrücke nach Kopenhagen der Startschuss. Mit dem ersten Halbfinal des Eurovision Song Contest – kurz ESC. Schon am Nachmittag wurde im Herzen von Malmö das «Eurovision Village» eröffnet: Mit einem aufwendigen und vielfältigen Rahmenprogramm möchte Schwedens drittgrösste Stadt der eigenen Bevölkerung einen Mehrwert bieten. Zum Beispiel mit einer musikalisch unterlegten Yogastunde im blühenden Park.
Tatsächlich tummeln sich an diesem schönen Frühlingstag schon Hunderte von Menschen im Eurovision-Dorf. Fast alles sind zugereiste Fans aus dem Ausland, wie eine Gruppe von jungen Männern, die aus Malta, Deutschland, Estland, Mexiko und Polen nach Südschweden gekommen sind. Insgesamt erwartet Malmö in diesen Tagen über 100'000 ESC-Fans aus über neunzig Ländern.
Um in die Anlage im Zentrum von Malmö hineinzugelangen, müssen Besucherinnen und Besucher wie auf einem Flughafen durch eine Sicherheitsschleuse. Taschen sind im Eurovision Village gänzlich verboten. Überall sind schwerbewaffnete Polizistinnen und Polizisten zu sehen.
Für den Eurovision-Kenner Irving Wolther, der über den Musikwettbewerb und seine Folgen an der Universität Hannover doktoriert hat, steht der Anlass des Europäischen Rundfunkverbandes EBU unter einem denkbar schlechten Stern: «Ich habe noch nie eine so bedrückte Stimmung an einem Eurovision Song Contest erlebt.» Dazu trägt laut Wolther aber nicht nur die Geopolitik bei: «Die Polarisierung in den sozialen Medien vergiftet das Klima zusätzlich.»
In Malmö ist in diesen Tagen der Krieg zwischen Israel und Hamas das grosse Thema. Fast täglich finden gleich ausserhalb des Eurovision Village Demonstrationen gegen die Teilnahme Israels am Wettbewerb statt.
Für den schwedischen Kulturhistoriker Andreas Önnerfors gibt es dafür handfeste lokale Gründe: «Hier in Malmö leben viele Menschen mit Wurzeln in Palästina.»
Dazu komme, so der Forscher, die tiefe Verunsicherung in Schweden selbst: «Jetzt haben wir mit Problemen zu kämpfen, mit denen wir glaubten, dass sie es nur in anderen Ländern geben würde», betont Önnerfors und weist darauf hin, dass die schwedischen Selbstzweifel durch ausländische Desinformationskampagnen zusätzlich angeheizt würden.
Der Eurovision Song Contest galt in den letzten fünfzig Jahren, seit dem Sieg der schwedischen Musikgruppe Abba, als Aushängeschild des nordischen Staates.
Der ESC in der Krise
Jetzt tragen die Geopolitik und die Polarisierung innerhalb Schwedens zur vielleicht grössten Krise des Musikwettbewerbes bei, der seit 1956 vom Europäischen Rundfunkverband EBU veranstaltet wird, dem auch SRF und die SRG angehören. Vor der grossen Bühne im Eurovision Dorf lassen sich jedoch nicht alle von dieser Analyse entmutigen.