Es hatte alles so gut angefangen. Es ist erst halb sechs Uhr morgens, aber die Stimmung im grossen weissen Bus ist aufgeheizt. Mitten in der Nacht sind die gut fünfzig jungen Männer in Ambo aufgebrochen, klatschend, tanzend, singend. Sie sind auf dem Weg zu ihrem Premierminister, so Lehrer Bilisuma Chala: «Dr. Abiy, wie Abiy Ahmed hier genannt wird, verspricht nichts weniger als Demokratie.»
Vor drei Monaten kam der Wandel
Demokratie – das heisst vor allem Mitsprache der verschiedenen Volksgruppen in Politik und Wirtschaft. 27 Jahre lang hat eine kleine Minderheit das Land dominiert. Das löste Unmut aus, es gab Proteste im ganzen Land. Doch sie wurden brutal niedergeschlagen, Hunderte kamen ums Leben oder landeten im Gefängnis.
Doch vor drei Monaten kam der Wandel. Abiy Ahmed wurde zum Premier gemacht. Erstmals wird Äthiopien nun von einem Vertreter der grössten Ethnie – einem Oromo – angeführt. Doch Abiy Ahmed spricht zu allen Volksgruppen und genau das macht ihn so beliebt: «Er muss schauen, dass er alle ethnischen Gruppen einbindet. Wir wollen niemanden mehr versklaven», sagt Lehrer Chala.
Geweckte Hoffnungen
Dr. Abiy soll das Land heilen. Tatsächlich spricht er mit allen und mit Erfolg. Ginbot 7, eine Rebellengruppe, hat den bewaffneten Kampf aufgegeben. Das benachbarte Eritrea, mit dem Äthiopien seit zwei Jahrzehnten keinen Frieden hat, hat auf Abyi's Angebot positiv reagiert.
Der Bus nähert sich Addis Abeba. Überall stehen Menschen an der Strasse, die meisten tragen ein T-Shirt mit einem Foto des Premiers drauf. Grosse Euphorie, winken, Fäuste in der Luft. Der neue Premier weckt so viele Hoffnungen. Doch nicht alle haben Freude haben an ihm. Denn Dr. Abiy prescht mit seinen Reformen in rasendem Tempo voran.
Hunderte politische Gefangene liess er frei, er wechselte die Regierungselite aus, hat Internetseiten entsperrt und versprochen die Staatsbetriebe für Private zu öffnen. Dieses Tempo sei gefährlich, so Lehrer Bilisuma Chala: «Abiy könne dafür getötet werden, die noch immer Mächtigen hätten Waffen. Abiy nur die Unterstützung der Bevölkerung.»
Dann geht eine Granate hoch
Und die Unterstützung hat er wahrlich. Zehntausende Äthiopierinnen und Äthiopier sind an den Mesekel Square in der Hauptstadt Addis Abeba geströmt und lauschen Abiy Ahmeds Rede. Sie alle verspüren dasselbe: «Diese kleine Hoffnung auf Demokratie und auf ein vereintes, friedliches Land», sagt eine Teilnehmerin.
Die Rede des Premiers ist zu Ende. Dann geht eine Granate hoch. Eine Person wird getötet. 156 sind verletzt. Die Angst vieler Äthiopier wurde wahr. Es scheint Mächte zu geben in diesem Land, welchen der neue Premier nicht passt. Das macht die Herkulesaufgaben von Friede und Demokratie für Dr. Abiy nicht einfacher.