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Färöerinseln: Nationbuilding unter dem Meeresboden
Aus Echo der Zeit vom 24.07.2024. Bild: SRF/ Bruno Kaufmann
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Färöer im Wandel Mit unterirdischen Tunnels zur neuen Nation

Der aussenpolitisch zu Dänemark gehörende Archipel im Nordatlantik stellt sich neu auf. Die Überschüsse aus der boomenden Fischwirtschaft werden in die Infrastruktur investiert – und die junge Generation sorgt für einen gesellschaftlichen Aufbruch.

Im Hafen von Thorshavn, der Hauptstadt der Färöerinseln, liegen neben traditionellen Fischerbooten riesige Trawler – hochseetaugliche Fischfabriken – und Personenfähren vor Anker. Neben der MS «Norröna» mit Platz für 1500 Passagiere, welche die Färöer mit Dänemark im Südosten und Island im Nordwesten verbindet, waren es über Jahrzehnte auch jene Schiffe, welche für die Verbindungen zwischen den 14 bewohnten Inseln des Landes sorgten – solange das Wetter mitmachte, was hier oben im Nordatlantik längst nicht an allen Tagen der Fall ist.

Blick über den Hafen auf die farbigen Häuser von Tórshavn.
Legende: Der Hafen von Thorshavn: Die Hauptstadt liegt geografisch im Zentrum des Archipels. SRF / Bruno Kaufmann

So entwickelten sich über die Jahrhunderte die Gemeinschaften auf den verschiedenen Inseln sehr unterschiedlich. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es nicht unüblich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Beschlüsse des nationalen Parlamentes in der Hauptstadt kurzerhand ignorierten. Von einem einig Vaterland waren die Färöer bis vor Kurzem noch weit entfernt. 

Mann steht vor einem Gebäude im Nebel.
Legende: Johannes Jensen steht vor einem seiner Hotels. SRF / Bruno Kaufmann

Das ändert sich nun: «In den letzten Jahren haben sich die Färöer enorm entwickelt: finanziell, wirtschaftlich und auch gesellschaftlich. Wir können heute auf eigenen Beinen stehen», sagt Johannes Jensen, der neben Engagements in Fischereiunternehmen auch eine Reihe von Hotels und Restaurants auf den Färöern betreibt.

Immer mehr Tunnelportale

Die Färöerinseln umfassen 18 Inseln, von denen 14 bewohnt sind. Der grosse Wohlstand des Landes, der nicht zuletzt der boomenden Fischereibranche zu verdanken ist, zeigt sich an den zahlreichen Neubauten im ganzen Land.

Die Topografie mit hoch aus dem Nordatlantik herausragenden Felseninseln und tiefen Meerengen und Fjorden beschränkte die Verkehrsverbindungen über Jahrhunderte auf den (oft stürmischen) Seeweg. Deshalb war Thorshavn für viele Färingerinnen und Färinger eine Tagesreise übers stürmische Meer oder eine verschneite Passstrasse entfernt. Nun kann ein grosser Teil der 55'000 Einwohnerinnen und Einwohner auf dem Landweg in die Hauptstadt pendeln – und unterquert dabei an vielen Stellen das Meer.

Die spannende neue Unterwasserwelt der Schafsinseln

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Legende: Die Fahrzeit zwischen der Hauptstadt Torshavn und Runavik dauert dank des Eysturoytunnels nur noch 16 Minuten. IMAGO/ABACAPRESS

Mit dem Bau von Strassen begann die Regierung erst nach Erlangung der Autonomie nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein erster Landtunnel, der kaum beleuchtete 1.5 Kilometer lange einspurige Hvalbatunnel, wurde im Jahre 1963 eröffnet. Erst im neuen Jahrtausend, 2002, wurden die ersten beiden Inseln – Vágár, wo der internationale Flughafen liegt, und Streymoy, wo sich die Hauptstadt Thorshavn befindet – mit einem ersten Unterwassertunnel verknüpft.

Doch seither gab es für die Tunnelbauerinnen und Tunnelbauer auf den Schafsinseln kein Halten mehr: Mit dem Ende 2020 eröffneten, über 11 Kilometer langen Eysturoytunnel sorgte das kleine Land für Schlagzeilen in der ganzen Welt. Denn hier entstand tief unter dem Meeresboden ein kunstvoll ausgeschmücktes Tunnelrondell, das Ausfahrten in drei Richtungen ermöglicht. Der neue Tunnel, der in nur vier Jahren zu einem Preis von einer knappen halben Milliarde Franken erstellt wurde, bietet zudem den Insassen der knapp 6000 passierenden Fahrzeugen pro Tag einen speziell komponierte Tunnelsound, der über das Autoradio empfangen werden kann.

Nachdem nun der Norden und Westen der Färöer auf dem (Unterwasser-)Landweg mit der Hauptstadt Thorshavn verbunden sind, arbeitet die aufstrebende Nation gegenwärtig an der Anknüpfung des Südens: Dazu wurde Ende 2030 mit dem 10.7 Kilometer langen Sandoyartunnel die Insel mit dem gleichen Namen und gut 1200 Einwohnerinnen und Einwohnern angeschlossen. Bis zum Jahre 2030 soll zudem auch die entlegene Südinsel mit einem neuen Rekordtunnel mit dem Rest des Landes verbunden werden: dem 25 Kilometer langen Suduroyartunnel.

(In einer früheren Version dieser Textbox wurde fälschlicherweise behauptet, dass der Sandoyartunnel Ende 2030 fertiggestellt wurde. Es war ein Vertipper: Ende 2023 wurde der Tunnel für den Verkehr freigegeben. Wir bitten um Entschuldigung.)

Ingilin Didriksen Ström, die mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf unweit des Nordportals des vor Kurzem eröffneten zehn Kilometer langen Sandøy-Tunnels wohnt, findet dies eine positive Entwicklung: «Mit diesen neuen Tunnels wachsen wir immer mehr zu einem Land und einer Nation zusammen», sagt Ström.

Familie posiert vor Landschaft mit Meer und Hügeln.
Legende: Ingilin Didriksen Ström mit ihrer Familie SRF / Bruno Kaufmann

Doch sie fragt sich, ob das viele Geld, das gegenwärtig in die Strasseninfrastruktur gesteckt wird, nicht auch in anderen Bereichen sinnvoll eingesetzt werden könnte – etwa bei der Förderung umweltfreundlicher Energiequellen.

Überlebenskampf im Nordmeer

In Thorshavn, wo die Regierung der seit 1948 weitgehend von Dänemark autonomen Färöer ihren Sitz hat, betont auch Aussenminister Högni Høydal, dass die neuen Tunnelverbindungen einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt des kleinen Landes leisten – und damit auch zur angestrebten staatlichen Unabhängigkeit in der nahen Zukunft.

Mann vor rotem Holzhaus mit Grasdach.
Legende: Högni Høydal vor seinem Amtssitz. SRF / Bruno Kaufmann

«Die Geschichte der Färöer ist von unserem Überlebenskampf im Nordatlantik und unserer Kooperationsfähigkeit mit dem Ausland geprägt. Als heute gut aufgestellte Nation müssen wir nun alles daran setzen, unsere reichen Naturressourcen nachhaltig zu verwalten», betont Aussenminister Høydal.

Blick auf einen nebligen Hafen mit Kreuzfahrtschiff und zwei Personen auf einem Hügel.
Legende: Aufschwung in der Fischereiwirtschaft: Das Land kontrolliert mit seiner Fangflotte im Nordatlantik ein Gebiet von fast 280'000 Quadratkilometern. SRF / Bruno Kaufmann

Doch bevor die grossen Gewinne aus der Fischwirtschaft in einen Fonds für künftige Generationen einfliessen können – ähnlich dem Ölfonds im benachbarten Norwegen –, gilt es das grösste und teuerste Tunnelprojekt in der Geschichte des Landes erst noch zu realisieren: den 25 Kilometer langen Unterwassertunnel zur Südinsel. Noch in diesem Herbst wird das nationale Parlament in Thorshavn den entsprechenden Baubeschluss fassen.

Uneinigkeit in sozialen Fragen

Wie das Nachbarland Island versuchte sich das Land mit heute knapp 55'000 Einwohnerinnen und Einwohnern am Ende des Zweiten Weltkrieges als selbstständiger Staat von Dänemark loszulösen; im Unterschied zu Island jedoch, wo sich in einer Volksabstimmung 99 Prozent der Stimmbevölkerung für die Unabhängigkeit aussprachen, befürwortete auf den Färöern nur eine hauchdünne Mehrheit diesen Schritt – der in der Folge durch einen dänischen Marineeinsatz rückgängig gemacht wurde.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Gesellschaft der Färöer stark verändert: Wir sind selbstbewusster und weltoffener geworden.
Autor: Bjarni Karason Petersen Justizminister

Grosse Uneinigkeit prägte die Färöer lange auch in sozialen und wirtschaftlichen Fragen, betont Justizminister Bjarni Karason Petersen: «Im Unterschied zu anderen nordischen Ländern haben wertkonservative und religiöse Kräfte die Innenpolitik der Färöer geprägt. Auch deshalb sind zum Beispiel Abtreibungen bis heute praktisch verboten», sagt Petersen.

Patt im Parlament

Mit erst 29 Jahren gehört der Vorsitzende der liberalen Partei zur jungen Generation von Färingern, die im Ausland studiert haben und nun die Färöer modernisieren wollen. In einer historischen Abstimmung über ein neues, liberaleres Abtreibungsgesetz kam es kurz vor der Sommerpause zu einem Patt im nationalen Parlament.

Mann in Anzug vor einem Gebäude mit rotem Rahmen und Glastür stehend.
Legende: Justizminister Bjarni Karason Petersen. SRF / Bruno Kaufmann

Petersens Versuch, das noch aus dem Jahre 1956 stammende Abtreibungsverbot zu lockern, scheiterte. Doch beim nächsten Mal wird es klappen, ist der liberale Jungminister überzeugt. «In den letzten zehn Jahren hat sich die Gesellschaft der Färöer stark verändert. Wir sind selbstbewusster und weltoffener geworden», betont Bjarni Karason Petersen.

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Färöer: Junge haben Mühe mit konservativen Werthaltungen
aus Rendez-vous vom 30.07.2024. Bild: KEYSTONE/Georgios Kefalas
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Nachdem zur Jahrtausendwende wegen einer Bankenkrise viele Färingerinnen und Färinger aus wirtschaftlichen Gründen den Archipel verlassen mussten, gehört die Inselgruppe heute zu den reichsten Ländern der Welt.

Musikerin Eivør kehrt zurück

Viele sind deshalb auf den Nordatlantik-Archipel zurückgekehrt: so auch die weltbekannte Musikerin Eivør Pálsdottir. «Vor zwei Jahren zog ich nach langer Zeit im Ausland auf die Färöer zurück und lebe jetzt mit meiner Familie hier in diesem kleinen Dorf», sagt die 41 Jahre alte Kulturschaffende beim Gespräch in ihrem Haus im Dorf Velbastadur auf der Insel Streymöy.

Frau sitzt vor zwei Bildschirmen in einem Musikstudio.
Legende: Die 41-jährige Musikerin in ihrem Studio. SRF / Bruno Kaufmann

Sie ist überzeugt, dass ihr Land sich in der nahen Zukunft weiter modernisieren wird – und die konservativen und religiösen Kräfte an Macht einbüssen werden: «In unserem Parlament gibt es heute immer mehr fortschrittliche Kräfte. Das stimmt mich sehr zuversichtlich für diesen fantastischen Flecken Erde», sagt Eivør, deren Musik oft mit jener der isländischen Kollegin Björk verglichen wird. Mit ihrer alten, traditions- und naturverbundenen Musik wirkt Eivør Pálsdottir heute als wichtige Kulturbotschafterin des kleinen und abgelegenen Landes im Nordatlantik. Ein Land, das dank der neuen Infrastruktur, dem gestärkten inneren Zusammenhalt und einer neuen aktiven Generation bereit ist für eine aktive Rolle in der Weltgemeinschaft. 

Echo der Zeit, 24.7.2024, 18:00 Uhr;kobt

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