An den täglichen Tweet des britischen Verteidigungsministeriums haben wir uns längst gewöhnt: Seit Kriegsbeginn im Februar veröffentlicht dieses im 24-Stunden-Takt Geheimdienstinformationen auf Twitter. Und auch die USA informieren regelmässig via Medienmitteilung oder über einen Sprecher über den Kriegsverlauf in der Ukraine. Wie glaubwürdig sind diese Informationen? Und gibt es im Ukraine-Krieg überhaupt glaubwürdige Quellen? Wir haben einen Geheimdienstexperten, eine Korrespondentin und eine Faktencheckerin gefragt.
Welche Rolle spielen die westlichen Geheimdienste im Ukraine-Krieg? Westliche Geheimdienste haben im Zuge der Auflösung der Sowjetunion ab 1992 in der Ukraine Fuss gefasst, erklärt Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. «Seither sind sie dort nachhaltig verankert und pflegen gute Partnerdienstbeziehungen zu den ukrainischen Nachrichtendiensten.» Die wichtigste Rolle im Ukraine-Krieg spielten sowohl die amerikanische CIA als auch die NSA und die Satelliten-Aufklärung, gefolgt von den britischen Geheimdiensten – dem Auslandsnachrichtendienst MI 6, dem Militärgeheimdienst MI 15 und der Funkaufklärungsbehörde GCHQ – und schliesslich dem deutschen BND und der französischen DGSE (aktuell mit etwa 50 Mitarbeitern in der Ukraine präsent).
Wieso informieren Grossbritannien und die USA öffentlich? «Damit wollen die Geheimdienste der russischen Propaganda entgegenwirken», sagt Erich Schmidt-Eenboom, der das Forschungsinsinstitut für Friedenspolitik e.V. im deutschen Weilheim leitet. «Wenn Russland etwa von einer 'strategischen Umgliederung' seiner Truppen spricht, dann bedeutet das in Wirklichkeit, dass die russische Armee in Sachen personeller Leistungsfähigkeit schlecht aufgestellt ist.» Und das würden die westlichen Geheimdienste dann auch entsprechend formulieren und in die Medien schicken.
Wie glaubwürdig sind diese öffentlichen Geheimdienstberichte aus dem Westen? Schmidt-Eenboom attestiert den angelsächsischen Geheimdiensten eine «sehr hohe und gute Prognosesicherheit». Dies habe sich nicht nur während des Krieges gezeigt: «Die USA haben auch die Invasion der Russen in die Ukraine früh, das heisst bereits im Herbst 2021, vorhergesagt und westliche Verbündete vorgewarnt.»
Welche anderen zuverlässigen Quellen gibt es im Ukraine-Krieg? SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky, die seit Ausbruch des Krieges über die Ukraine berichtet, setzt bei ihrer Arbeit vor allem auf eigene direkte Kontakte vor Ort. «Bei aktuellen Ereignissen, wie etwa der Rückeroberung der Stadt Cherson durch die ukrainische Armee, kontaktiere ich Bekannte in der Ukraine. Etwa Personen, die mit Angehörigen in der Stadt in Kontakt standen, um Informationen direkt über Augenzeugen zu verifizieren.»
Kann man sich im Ukraine-Krieg überhaupt unabhängig informieren? Die meisten öffentlichen Quellen der Kriegsparteien seien auf die eine oder andere Seite gefärbt, sagt SRF-Faktencheckerin Melanie Kömle. «Das heisst, sie haben zwar möglicherweise einen wahren Kern, enthalten aber Propaganda.» Bei ihrer Arbeit zieht sie öffentlich zugängliche Quellen und teils andere Medien bei. «Zuverlässige Informationen liefern beispielsweise die Washington Post, das internationale investigative Recherchenetzwerk Bellingcat oder das deutsche Correctiv.» Verifizierte Informationen zu Bildern liefern oft auch die grossen Nachrichtenagenturen wie AP, AFP oder Reuters.