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Kolesnikow: «Giftanschlag im Stil der Geheimdienste»
Aus Echo der Zeit vom 27.08.2020. Bild: Keystone
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Fall Nawalny Vergiftung eines Kritikers als «Geschenk» für Putin?

Es waren die Geheimdienste, die Nawalny vergiftet haben. Das sagt der bekannte russische Politologe Andrei Kolesnikov.

Die mutmassliche Vergiftung des Oppositionellen Alexej Nawalny hat viele in Russland schockiert. Die liberale Öffentlichkeit ist überzeugt, hinter der Tat stehen höchste Machtzirkel. Der kritische Moskauer Politologe Andrej Kolesnikov sieht das ähnlich. Wenn man ihn fragt, was genau mit Nawalny passiert ist, sagt er: «Es gibt keine Zweifel, dass Nawalny vergiftet wurde. Und dahinter steckt einer der zahlreichen russischen Geheimdienste.»

Andrei Kolesnikov

Politologe

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Kolesnikov ist ein pointierter Analytiker. Er leitet die Innenpolitik-Abteilung des Carnegie-Zentrums, des renommierten Think Tanks in Moskau, der mit US-Geld finanziert wird und deshalb ein Sammelpunkt für viele kritische Denker ist, die in staatlichen russischen Strukturen keine Jobs mehr finden.

Ein Giftanschlag, das sei der Stil der Geheimdienste, sagt Kolesnikov. Er verweist auf zahlreiche andere Fälle, etwa denjenigen des russischen Ex-Agenten Sergej Skripal. Dieser wurde mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Allerdings glaubt der Politologe nicht, dass Putin selbst den Befehl dazu gegeben hat. Es seien Leute aus dem Sicherheitsapparat gewesen.

«Sie wollten es machen wie eine Katze, die ihrem Besitzer eine Maus als Geschenk bringt.» Putin sei aber nicht besonders erfreut. «Politisch bringt ihm dieses ‹Geschenk› nur Probleme.» Der Imageschaden ist tatsächlich hoch: Russland steht als Land da, das Oppositionspolitiker vergiftet.

Wie eine Katze ihrem Besitzer eine Maus als Geschenk bringt.
Autor: Andrei Kolesnikov Politologe

Doch auch wenn dies nicht allen Vertretern der russischen Elite gefällt: In einer Stresssituation halten die diversen Lager zusammen. Das Aussenministerium weist alle Vorwürfe zurück, staatsnahe Journalisten machen sich über Nawalny lustig. «Eine Staatsmacht, die schon so viele rote Linien überschritten hat, kennt keine Scham mehr», so Kolesnikov.

Seine Analyse zeigt ein Problem, das jede Diskussion über russische Politik hat: Die Staatsmacht im Kreml ist geheimniskrämerisch. Beobachter können nur Zeichen deuten. Das nennt man dann Kreml-Astrologie. Darin ist Kolesnikov allerdings gut. Er bemerkt einen deutlichen Wandel im Land.

Nicht mit Achtungserfolg gerechnet

«Im Jahr 2013 durfte Nawalny noch an der Bürgermeisterwahl in Moskau teilnehmen. Die Staatsmacht dachte, er würde sehr wenige Stimmen holen.» Es trat aber das Gegenteil ein: Er errang einen Achtungserfolg gegen den Kreml-Kandidaten. Kurz darauf wurde er jeder Möglichkeit beraubt, am politischen Prozess teilzunehmen. Und nun wurde er offenbar vergiftet.

Dabei, vermutet Kolesnikov, ist der mutmassliche Anschlag auf Nawalny nicht ein Zeichen von Stärke der herrschenden Elite – im Gegenteil. Der Kreml sei unruhig. Und das hat mit der sinkenden Unterstützung im Volk zu tun: «Leute unterschiedlicher politischer Gesinnung sagen inzwischen, dass Putin gehen müsse. Sie verstehen, solange er bleibt, wird sich nichts ändern.»

Staatsmacht in Verteidigungshaltung

Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass viele Russinnen und Russen unzufrieden sind. Bei der Volksabstimmung über die Verfassungsänderung, die Putin die Herrschaft bis 2036 sichert, meldete der Kreml zwar eine schwindelerregende Zustimmungsrate von fast 78 Prozent. Genauso schwindelerregend waren aber die Fälschungsvorwürfe. Gut möglich, dass die Vorlage bei einem demokratischen Urnengang versenkt worden wäre.

«Der Mordversuch an Nawalny zeigt, dass die Staatsmacht vor der eigenen Gesellschaft in Verteidigungshaltung geht», so der Politologe. «Und mit dieser Gesellschaft wird die Macht ziemlich hart umgehen, härter als bisher.» Noch sind viele Fragen offen zum mutmasslichen Angriff auf Nawalny. Aber er könnte dereinst als Wendepunkt in Russlands Geschichte eingehen.

Echo der Zeit, 27.08.2020, 18:00 Uhr

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