Dann platzte Olaf Scholz der Kragen. Nach Tagen des Streits warf er seinen Finanzminister raus – mit Schimpf und Schande. Er, der Finanzminister, gab sich darauf zerknirscht, fast sah es danach aus, als kämpfe er mit den Tränen. Als sei er überrascht.
Alles ein perfekt orchestriertes Theater, eine Täuschung, wie sich jetzt zeigt. Es gab bei der FDP einen genauen Plan zum Ampel-Ausstieg im November. Der Titel des Papiers: «D-Day Ablaufszenarien und Massnahmen». D-Day, ausgerechnet. Am D-Day landeten die Alliierten 1944 an der französischen Küste, um Europa von der Hitler-Diktatur zu befreien. Für die FDP bedeutete der D-Day offenbar, Deutschland von der Ampel zu befreien. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit.
Lange wurde über den Inhalt des Papiers spekuliert – nun hat es die FDP selbst veröffentlicht. Dies, nachdem der FDP-Generalsekretär abgestritten hatte, dass es dieses Papier je gab. Nun musste der Mann seinen Hut nehmen – und betonte nochmals, vom Papier nichts gewusst zu haben. Dennoch ist er nur ein Bauernopfer. FDP-Chef Christian Lindner versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Eiskalte Politik ohne Rücksicht auf Verluste
Ob Lindner das gelingen wird, ist offen, genauer sogar: unwahrscheinlich. Seine Partei hat den Austritt aus der Scholz-geführten Ampel-Regierung eiskalt vorbereitet, im Stil einer Unternehmensberatung, die eine marode Firma sanieren will – ohne Rücksicht auf Verluste.
So funktioniert Politik aber nicht. «Zum Wohle des Volkes», so beginnt der Amtseid eines Ministers oder einer Ministerin in Deutschland. Zum Schwur gehört zudem, Schaden abzuwenden und Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben. Von Eigennutz und Kalkül steht da nichts drin. Eine Demokratie ist keine «Heuschrecken-Firma», in der jeder nur an sich denkt und rücksichtslos den eigenen Nutzen vollstreckt.
Doch nun wird offenbar, dass die FDP genau das unter Politik versteht. Krieg. Im Papier steht auch, dass nach dem Austritt aus der Koalition die «offene Feldschlacht» beginnt. Gegen wen? Gegen Kanzler Scholz oder Vizekanzler Habeck? Was ist das Ziel dieser «Feldschlacht»?
Aus Bangen wird Überlebenskampf
Am 23. Februar wird in Deutschland ein neues Parlament gewählt. Die FDP muss um den Einzug in den Bundestag bangen. Nun wird aus dem Bangen ein Überlebenskampf. Es wird schwierig, innert weniger Wochen das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen. Wie will die FDP vermitteln, eine vertrauenswürdige, mögliche Regierungspartei zu sein? Im Lichte der Ereignisse der letzten Wochen wird bei allen politischen Partnern die Angst bleiben, dass irgendeiner irgendwo in der FDP eine neue «Feldschlacht» plant.
Kanzler Scholz könnte von der Affäre profitieren – sein Lindner-Rauswurf wird plötzlich plausibler. Er könnte sich im Wahlkampf als Hüter der Demokratie präsentieren, als einer, der durchhalten wollte.
Was wusste Lindner?
Alle Augen richten sich auf Christian Lindner, die Frage ist überlaut zu hören in Berlin: Was wusste der Parteichef? Hat er das Papier abgesegnet oder gar geschrieben? Seine Rechtfertigungsrede nach dem Ampel-Aus ist schon vorformuliert, alles fertig gedacht bis hin zu einer Social-Media-Strategie. Vielleicht wollten seine Leute ihn schützen. Lindner wäre nicht der erste Spitzenpolitiker, der seinen Leuten einschärfte: Macht, was ihr wollt – ich will's einfach nicht wissen.
Vielleicht kann sich Lindner an der Parteispitze halten, Tränen aber wird ihm nie mehr jemand glauben.