Auf der internationalen Agenda figuriert der Nahostkonflikt derzeit unter «ferner liefen». Zu verhärtet sind die Fronten, zu komplex die Situation. In den Konflikt könnte aber wieder Bewegung kommen. Nämlich, wenn der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die Wahlen im April verliert – sagt Alon Liel. Der ehemalige israelische Diplomat setzt sich seit Jahren für einen unabhängigen palästinensischen Staat ein – denn sonst würde Israel seine eigenen Werte verraten.
SRF News: Glauben Sie noch an die Zweistaatenlösung?
Alon Liel: Ja. Sie ist die einzige und beste Möglichkeit, um Israel als jüdischen und demokratischen Staat zu erhalten. Aber sie scheint ein unerreichbarer Traum zu sein – mit der gegenwärtigen Regierung Israels und der Palästinenser. Und der weltweiten Gleichgültigkeit.
Die internationale Gemeinschaft befürwortet die Zweistaatenlösung aber weiterhin.
Theoretisch ja, da sind sich die Staaten weltweit einig. Israel ist das einzige Land, das die Zweistaatenlösung nicht unterstützt. Aber es gibt keine Regierung und keine internationale Organisation, die deswegen Druck auf Israel macht.
Der Nahostkonflikt in Bildern
-
Bild 1 von 17. Während dem Ersten Weltkrieg unterstützte Grossbritannien die Gründung eines Palästinensischen Staates. Den arabischen Nationalismus forcierte auch der britische Offizier T.E. Lawrence (Bild), der als Lawrence von Arabien bekannt wurde. Fast gleichzeitig sagte die britische Balfour-Declaration den Juden eine «nationale Heimstätte in Palästina» zu. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 2 von 17. Am 14. Mai 1948 unterzeichnete David Ben Gurion (rechts) «kraft des natürlichen und historischen Rechts des jüdischen Volkes und aufgrund des Beschlusses der UNO-Vollversammlung» die israelische Unabhängigkeitserklärung. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 17. Nachdem David Ben Gurion den Staat Israel ausgerufen hatte, brach der Unabhängigkeitskrieg zwischen Israel und den arabischen Staaten (Syrien, Libanon, Jordanien, Ägypten und Irak) aus. Im Arabischen wird der Krieg «Die Katastrophe» genannt. Die Auseinandersetzung hatte zur Folge, dass sich Israel erfolgreich etablieren konnte. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 4 von 17. Die Suez-Krise 1956 verschärfte den Konflikt zwischen Ägypten und Israel. Ägyptens Präsident Gamel Abdel Nasser (Bild) blockierte den Suez-Kanal für israelische Schiffe. Eine britisch-französische Intervention wurde von den USA und der UNO kritisiert. Die Krise stärkte den Panarabismus Nassers in der arabischen Welt. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 17. Eine der grösseren Auseinandersetzungen zwischen den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien war der Sechs-Tage-Krieg vom 5. bis zum 10 Juni 1967. Am Ende des Krieges besetzte Israel den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 6 von 17. Als Folge des verlorenen Sechs-Tage-Krieges verübte die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO Attentate und Entführungen. Einer der bekanntesten Anschläge war die Geiselnahme von München an den Olympischen Spielen von 1972 (Bild). Mitglieder der palästinensischen Organisation «Schwarzer September» töteten dabei elf israelische Sportler. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 7 von 17. Der Jom-Kippur-Krieg von 1973 ist ein weiterer Eckpfeiler des Nahostkonflikts. Nach Erfolgen Ägyptens und Syriens, schlugen die wegen des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur überraschten Israelis zurück. Protagonisten auf israelischer Seite waren der Oberbefehlshaber Mosche Dajan (mit Augenklappe) und Ministerpräsidentin Golda Meir. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 8 von 17. In Camp David/Maryland unterzeichneten 1978 der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat (links) und Israels Premier Menachem Begin (rechts) ein Abkommen unter Vermittlung von US-Präsident Jimmy Carter. Dieses sollte die Beziehungen zwischen den Staaten normalisieren. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 9 von 17. Erstmals kommt es zu einem Handschlag zwischen den beiden Parteien. Das Camp-David-Abkommen hätte eine Vorbildfunktion für den Normalisierungsprozess bei anderen Ländern der Region haben sollen. Auf das Abkommen folgte ein Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten. Im Dezember 1978 erhielten Sadat und Begin den Friedensnobelpreis. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 10 von 17. Zwischen 1987 und 1991 kam es zu mehreren Gewalt-Ausbrüchen. Der Oslo-Prozess beendete diese so genannte erste Intifada. In Washington unterzeichneten 1993 Jitzchak Rabin (links) und Jassir Arafat unter Vermittlung von US-Präsident Bill Clinton eine «Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung» der Palästinensergebiete. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 11 von 17. Ein weiterer Rückschlag für den Friedensprozess: Am 4. November 1995 erschoss der rechtsradikale jüdische Student Jigal Amir Ministerpräsident Jitzchak Rabin. Er war mit seinen Friedensbemühungen nicht einverstanden. Rabins Nachfolger wird Schimon Peres. Im Bild: der verwundete Rabin wird in seine Limousine gelegt. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 12 von 17. Die Beziehungen zwischen den Palästinensern und Israel verschlechtern sich nach dem Attentat auf Rabin zusehends. Den absoluten Tiefpunkt erreichten sie im Jahr 2000. Damals versuchten Israels Premier Ehud Barak (links) und Palästinenserpräsident Jassir Arafat ein Abkommen zu schliessen. Erfolglos: Die zweite Intifada brach aus. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 13 von 17. Ab dem Jahr 2000 versucht Israel die Palästinensergebiete abzuschotten. Der damalige Ministerpräsident Ariel Scharon liess zum Beispiel eine Mauer um die Gebiete bauen. Mehrere Interventionen Israels in den Palästinensergebieten wurden oft international kritisiert. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 14 von 17. Eine Provokation für die Palästinenser war der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon auf dem Tempelberg im Jahr 2000. Scharon wollte damit verdeutlichen, dass Israel auch über ein vereinigtes Jerusalem die Kontrolle behalten will. Der Tempelberg wird sowohl von Muslimen, als auch von Juden und Christen als heilig angesehen. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 15 von 17. Unter Vermittlung von US-Präsident Barack Obama kam es 2010 wieder zu direkten Friedensgesprächen zwischen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu (links) und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (rechts). Doch die Gespräche gerieten sehr schnell ins Stocken. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 16 von 17. Israels Justizministerin Zipi Livni und der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat (rechts) vereinbaren im Juli 2013 unter Vermittlung von US-Aussenminister John Kerry, dass innerhalb von neun Monaten Friedensverhandlungen aufgenommen werden. Die Bemühungen der Obama-Administration blieben letztlich erfolglos. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 17 von 17. Am 14. Mai 2018 feierte Israel seinen 70. Geburtstag; die US-Botschaft wurde von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt. Tags darauf folgte der Nakba-Tag (Tag der Katastrophe), der an die Vertreibung der Palästinenser erinnert. Die Hamas rief zum «Marsch der Rückkehr» auf: Es folgten gewaltsame Auseinandersetzungen an der Grenze von Israel zu Gaza. Bildquelle: Reuters.
Im Frühling gibt es Wahlen in Israel. Sie sagen, Netanjahus Herausforderer Benjamin Gantz könnte dem Friedensprozess neuen Schub verleihen. Warum?
Die entscheidende Frage wird sein, wer eine Regierungskoalition zustande bringt und ob dort Parteien mitmachen, die die Zweistaatenlösung unterstützen. Netanjahu hat dieses Ziel nicht mehr verfolgt. Wenn Gantz eine solche Koalition zustande bringt und die Zweistaatenfrage wieder aufnimmt, hätten wir wieder eine andere Ausgangslage.
Aber warum sollte Gantz das tun? Sie sprechen für eine Minderheit in Israel.
Sie haben Recht. Er wird es nur tun, wenn er als Premierminister davon überzeugt ist. Dass es das ist, was die Welt will, was die Palästinenser wollen, und das Beste für Israel ist. Ich weiss nicht, ob das geschehen wird.
Bei einer Einstaatenlösung wäre Israel weder jüdisch noch demokratisch.
Ich weiss aber, dass mindestens zwei zionistische Parteien diese Zweistaatenlösung auf ihrer Agenda haben: Labor und Meretz – und vielleicht auch Yesh Atid, die mit Gantz antritt. Die Zweistaatenlösung ist also nicht komplett verschwunden.
Israel müsste besetzte Gebiete aufgeben. Ist das realistisch?
Bis vor fünf Jahren war mit den Palästinensern die Rede davon, die Grenzen von 1967 als Basis für eine solche Zweistaatenlösung zu nehmen. Dabei hätten auch Gebiete abgetauscht werden sollen.
Die Regierung Trump ist zu einseitig, sie hat ihre Vermittlerrolle verspielt.
Das Problem dabei sind nicht die Gebiete, in denen am meisten Siedler leben, sondern ein Gebiet tief in der Westbank, mit etwa 70'000-80'000 Leuten, die sich kaum bewegen werden. Was mit ihnen geschehen soll, bleibt eine grosse Frage.
Und die Palästinenser? Sie suchen ja auch nicht sehr aktiv nach einer Lösung.
Die Palästinenser erleben seit zehn Jahren eine schreckliche Zeit. Eine Spaltung zwischen Fatah und Hamas, zwischen dem säkularen und religiösen Teil der Bevölkerung. Es wird sehr schwierig sein, eine Lösung zu finden, die die Westbank und Gaza umfasst.
Wir sollten uns deshalb zunächst auf die Westbank konzentrieren und schauen, ob die Palästinenser über die Jahre hinweg diesen Graben überwinden und wieder eine gemeinsame Regierung haben werden.
Wenn wir derzeitige Lage anschauen: Läuft das auf eine Einstaatenlösung hinaus?
Eindeutig. Wenn wir nicht eine grundsätzliche Wende hinkriegen, werden wir bei einer Einstaatenlösung landen, bei der Israel weder jüdisch noch demokratisch sein wird. Ein Land mit 50 Prozent Juden, 50 Prozent Moslems, und einem guten Drittel der Bevölkerung, der nicht abstimmen darf. Weil wir sonst einen muslimischen Premierminister hätten oder einen palästinensischen. Das wird eine Tragödie für die Israelis und Juden.
Was sollte Ihrer Meinung nach passieren, damit es zu einer Zweistaatenlösung kommen kann?
Wir müssen die Stimmung in der israelischen Bevölkerung ändern, mit einer neuen Regierung, die an den Frieden glaubt. Die internationale Gemeinschaft soll die Situation nicht nur nach den Machtverhältnissen bewerten, sondern aufgrund des internationalen Rechts und moralischen Überlegungen.
Die Regierung Trump ist zu einseitig, sie hat ihre Vermittlerrolle verspielt. Westeuropa ist der Schlüssel. Grossbritannien, Frankreich oder Deutschland, Freunde von Israel, könnten sich direkt einbringen – wenn sie Palästina als Staat anerkennen. Dann wird die internationale Gemeinschaft wieder eine Rolle spielen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.