Von Ost auf West: Nicht nur geo- und sicherheitspolitisch hat sich Finnland in den letzten Jahren und Monaten neu ausgerichtet – auch in der Energiepolitik ist es Helsinki gelungen, sich von Moskau loszulösen. Deutlich wird dies bei Besuchen ganz im Osten und Westen des Landes mit einer Fläche, die in etwa jener Deutschlands entspricht.
Noch vor wenigen Jahren war Finnland in Bezug auf die Energiepolitik zu grossen Teilen auf Lieferungen aus dem Osten angewiesen: Dazu gehörten neben Gas auch Öl und Holz. Letzteres soll nun in einer Übergangsphase durch einheimischen Torf ersetzt werden. Noch vor dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hatte Finnland eigentlich beschlossen, künftig ganz auf die Nutzung des klimaschädlichen Energietorfes zu verzichten.
Der stillgelegte Grenzbahnhof
Nachdem der Personenverkehr auf der Schiene mit Russland schon vor einem Jahr eingestellt wurde, verkehren nun auch keine Güterzüge zwischen den beiden Ländern mehr. Der noch vor kurzem sehr wichtige Grenzbahnhof Vainikkala, 250 Kilometer östlich der Hauptstadt Helsinki, ist jetzt praktisch stillgelegt und verlassen. Durchgehende Gas- und Ölpipelines sowie einen lange stark frequentierten Wasserweg, den Saimaakanal, gibt es schon lange. Nun bauen die finnischen Grenzbehörden einen bis zu drei Meter hohen Zaun entlang der Grenze.
Umgekehrt herrscht auf der 250 Kilometer westlich von Helsinki gelegenen Halbinsel Olkiluoto Hochbetrieb: Hier soll am 17. April eine der grössten Atomkraftanlagen der Welt in Betrieb gehen.
Nach einer fast 20-jährigen Bauzeit und Kosten von umgerechnet über zwölf Milliarden Franken soll der dritte Atommeiler vor Ort (Olkiluoto 1 und 2 gingen schon 1979 respektive 1982 ans Netz) künftig die «russische» Stromlücke füllen können – und erst noch dazu beitragen, dass Finnland seinem Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden, einen wichtigen Schritt näherkommt.
Der grüne Atomsegen
Die Klimafrage hat in den letzten Jahren die traditionell der Kernenergie skeptisch gegenüberstehenden Grünen – die seit 1995 immer wieder Teil von Regierungen waren – dazu bewogen, umzudenken. «Heute gibt es viele gute Gründe, auf die Atomkraft auch in Zukunft nicht zu verzichten», sagte der Chef der grünen Fraktion im finnischen Parlament, Atte Harjanne.
Zum Umdenken in Finnland hat auch beigetragen, dass ebenfalls in Olkiluoto derzeit das erste Endlager für hoch radioaktive Abfälle gebaut wird. Hier sollen ab 2025 in gut 450 Meter Tiefe bis zu 6500 Tonnen in Kupfer eingekapselte nukleare Abfälle eingelagert werden – und das bis zum Abklingen der radioaktiven Strahlung in 100'000 Jahren.
Dank der breiten politischen Kompromisse im finnischen Parlament zur Stromlückenfrage ist die Energiepolitik im aktuellen Wahlkampf – am Sonntag wird gewählt – keine umstrittene Frage.