Ganz oben in Europa grenzen EU und Schengenraum auf einer Länge von über 1500 Kilometer an Russland. Dort herrschte in den letzten Jahrzehnten ein reger, teilweise visafreier Grenzverkehr. Doch seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist alles anders.
Im Hauptbahnhof von Helsinki kommen nicht nur die Bahnstrecken aus sechs Richtungen in Finnland zusammen, sondern auch aus dem benachbarten Russland. Die fast 400 Kilometer lange Strecke wurde schon 1870 eröffnet, als Finnland unter russischer Kontrolle stand. Auch deshalb hat das finnische Bahnnetz bis heute die breitere russische Spurweite und nicht die europäische Normalspur.
Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auf: Erstmals seit über 150 Jahren werden ab Ende Jahr keine Güterzüge mehr die finnisch-russische Grenze überqueren. Der ehemals rege Personenverkehr zwischen Helsinki und Moskau wurde schon im Frühjahr eingestellt, wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.
Noch knapp 1000 pro Tag
Unweit des Hauptbahnhofes der finnischen Hauptstadt treffen wir den Leiter der Sicherheitsabteilung der finnischen Grenzbehörde. Mikko Lehmus koordiniert die Analysen seiner Behörde zur Lage an der 1340 Kilometer langen Landesgrenze zu Russland.
Um fast 80 Prozent sei die Zahl der Grenzübertritte seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine zurückgegangen, berichtet er: «Noch vor wenigen Jahren passierten jedes Jahr über 13 Millionen Menschen die russisch-finnische Grenze, jetzt sind es noch knapp 1000 pro Tag.»
Überhaupt sei es im Moment auf der russischen Seite der Grenze sehr ruhig, betont Lehmus. Satellitenbilder belegen, dass grosse Teile der normalerweise im russischen Teil Kareliens stationierten Militäreinheiten für den Krieg gegen die Ukraine abgezogen wurden. Viele dieser Soldaten kommen jetzt laut lokalen russischen Medien in Särgen zurück.
Der geplante Grenzzaun zu Russland
In der Zukunft könnte sich die Lage jedoch auch an dieser Aussengrenze Russlands wieder verschärfen. Gemeinsam mit Schweden hat Finnland deshalb bei der Nato ein Beitrittsgesuch eingereicht und will zugleich die Grenze zu Russland auf hunderten von Kilometern befestigen, wie Lehmus erklärt: «Der neue Grenzzaun wird vor allem im Südosten Finnlands und in der Nähe von Grenzstationen gebaut werden.» Die Bauarbeiten dafür sollen im kommenden Frühjahr beginnen.
Zur aktuell ruhigen Situation an der finnischen-russischen Grenze trägt auch bei, dass russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nicht mehr wie früher über Finnland ein Visum für den Schengenraum erhalten können.
Die kleine Ausnahme: Norwegen
Und doch bleibt hoch oben in Nordeuropa ein letztes Schlupfloch offen: An der Barentssee, wo Norwegen direkt an Russland grenzt. Das Nicht-EU-Mitglied gehört ebenso wie die Schweiz auch zu Schengen und erlaubt es Russinnen und Russen bis heute, für Urlaubsreisen und Einkaufstouren nach Norwegen und damit auch Europa einzureisen.
Da überrascht es nicht, dass an der norwegisch-russischen Grenze bei der Hafenstadt Kirkenes in den letzten Wochen ein Anstieg der Grenzübertritte verzeichnet worden ist. Und das, obwohl eine Busfahrt von der nordrussischen Hafenstadt Murmansk laut Angaben des norwegischen Rundfunks heute umgerechnet über Tausend Franken kostet. Vor dem Krieg war der vierstündige Transfer in den Westen bedeutend billiger: gut 30 Franken.