Albanien, Montenegro oder Nordmazedonien mussten jahrelang warten, bis sie von der Nato für beitrittsreif erklärt wurden. Sie durchliefen den sogenannten «Membership Action Plan». Georgien und die Ukraine haben ihren Beitrittswillen vor mehr als fünfzehn Jahren erklärt; entsprochen wurde ihm bis heute nicht.
Konsens garantiert
Ganz anders liegt der Fall von Finnland und Schweden. Beide Staaten werden, sobald sie formell das Beitrittsgesuch stellen, binnen Wochen aufgenommen werden. Kein einziges der dreissig Nato-Mitgliedländer hat etwas dagegen. Denn: Beide bringen gut organisierte Streitkräfte als Mitgift ein, niemand zweifelt an ihrer Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und die Interoperabilität – also die Verknüpfung der nationalen Streitkräfte mit jenen anderer Nato-Staaten – erscheint problemlos.
Finnland und Schweden sind seit Jahren – wie auch die Schweiz – Mitglied beim Nato-Programm «Partnerschaft für den Frieden». Anders als die Schweiz haben sie sich seit der russischen Annexion der Krim 2014, weiter auf die Allianz zubewegt, nehmen an den meisten Manövern teil, sind oft Gäste auf Nato-Gipfeln und Ministertreffen.
Symbolische Aufwertung
Hinzu kommt: Für die Nato ist der Beitritt von zwei jahrzehntelang neutralen Ländern eine symbolische und politische Aufwertung. Von manchen nach dem Ende des Kalten Kriegs totgesagt, erscheint die Militärallianz inzwischen als wichtiger denn je.
Ausserdem füllen Finnland und Schweden ein Loch im Nato-Territorium in Nordosteuropa. Bisher wäre es für die Nato, obgleich man das dort ungern zugibt, äusserst schwierig, vielleicht gar unmöglich, ihre baltischen Mitglieder Estland, Lettland und Litauen gegen einen russischen Angriff zu verteidigen. Wenn die Nato auch finnischen und schwedischen Boden – vorab die strategisch wichtige schwedische Insel Gotland – nutzen kann, verbessert sie ihre strategische Position.
Allerdings ist sie in Zukunft auch stärker exponiert. Bisher hatte sie nur in Nordnorwegen, in Estland und Lettland direkte, relativ kurze Landgrenzen zu Russland. Jetzt, mit Finnland, wird die gemeinsame Landgrenze wesentlich länger.
Einer für alle – alle für Einen
Der Westen kann nicht davon ausgehen, dass Russland seinen Ärger über die Nato-Norderweiterung bloss verbal äussert. Es wird, wenn seine Streitkräfte nicht mehr voll in der Ukraine gebunden sind, Truppen an der finnischen Grenze positionieren. Cyberattacken auf die Nato-Neumitglieder dürften zunehmen. Ebenso Propagandaoffensiven mit dem Ziel, die öffentliche Meinung wieder zu Ungunsten der Nato zu wenden.
Zu rechnen ist auch mit Provokationen wie Verletzungen des Luftraums und der Hoheitsgewässer. Zwar müsste Moskau den absehbaren Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens sich selber und seiner militärischen Aggressivität zuschreiben. Doch das wird der Kreml nicht tun. Absehen dürfte er einzig von direkten militärischen Angriffen. Zu gross das Risiko für Moskau, erneut aufzulaufen. Künftig sieht es sich im Aggressionsfall nicht nur den schwedischen und finnischen Streitkräften gegenüber, sondern jenen der gesamten Nato. «Einer für alle, alle für Einen», fordert die Nato-Beistandspflicht.
Ein Restrisiko bleibt. Mit der künftig längeren Grenze wird es nicht geringer. Entscheidend ist letztlich, dass sich zwei souveräne, traditionell neutrale Staaten, ihre Bevölkerung und ihre Regierung sicherer fühlen, innerhalb der Nato. So weit hat sie Wladimir Putin gebracht.