Die Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln ist weiterhin dramatisch. Sie sind überfüllt. Auch auf der Insel Lesbos, einem Brennpunkt der Flüchtlingskrise. Der Kinderarzt Hans-Jörg Lang war dort.
Er hat für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen das Lager Mòria besucht – und traute seinen Augen nicht: «Ich arbeite hauptsächlich in afrikanischen Ländern oder war auch vor kurzem in Afghanistan, aber ich war von den Bedingungen in dem Auffangzentrum wirklich schockiert», sagt er.
Mòria wurde ursprünglich für 2000 bis 3000 Menschen konzipiert. Jetzt leben dort zirka 8000 Menschen. Das griechische Gesundheitssystem stellt zwei Ärzte bereit, die für deren medizinische Betreuung verantwortlich sind. Diese könnten dem Bedarf überhaupt nicht gerecht werden, sagt Lang. «Die Lage ist wirklich dramatisch, und ich denke, es ist nicht akzeptabel, dass Flüchtlinge auf diese Art und Weise auf europäischem Boden untergebracht werden.»
Kein Anzeichen für schnellere Asylverfahren
Der griechische Migrationsminister versprach, die Zahl der Flüchtlinge bis im September stark zu reduzieren. Doch Lang ist skeptisch. Seiner Meinung nach müsste die Regierung massiv mehr Personal bereitstellen, um die Asylverfahren zügiger über die Bühne zu bringen. «Das hiesse, dass Menschen auf das Festland weitergeführt würden, möglicherweise auch in andere europäische Länder.» Doch dafür gebe es derzeit keine Anzeichen.
Die Camps auf Lesbos sind also nach wie vor überbelegt, und dies, obwohl die Anzahl der Flüchtlinge, die über die Türkei nach Griechenland und damit nach Europa gelangen, seit dem Flüchtlingspakt mit der Regierung in Ankara stark zurückgegangen ist. Nach Angaben der Vereinten Nationen kommen täglich nur noch zwischen 50 und 100 Menschen aus der Türkei in Griechenland an.
«Das ist sehr viel weniger als in den vergangenen Jahren», sagt Thomas Seibert, Journalist in Istanbul. Die Türkei habe zudem ein innenpolitisches Interesse daran, keine Flüchtlinge mehr durchzulassen. Denn: «Hier in der Türkei kippt die Stimmung hinsichtlich der syrischen Flüchtlinge immer mehr.»
In den ersten Jahren des Krieges sei die Stimmung geprägt gewesen von Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. «Aber inzwischen sind wegen der insgesamt über drei Millionen Syrer viele Spannungen entstanden.»
Kein Interesse an neuer Fluchtbewegung
Besonders in den Grenzregionen sei der Goodwill aufgebraucht. Dies habe auch bei den Wahlen eine Rolle gespielt, erklärt Seibert. «Präsident Erdogan hat im Wahlkampf versprochen, die Syrer wieder nach Hause zu schicken.»
Wenn Erdogan das Tor nach Westen für Flüchtlinge nun wieder öffnen würde, entstünde in der Türkei ein Sog, der neue Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Irak anziehen würde, und das will Ankara auf keinen Fall, so Seibert.