Werden die Wetterbedingungen besser wie zurzeit, wagen wieder mehr Migranten und Flüchtlinge die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland und riskieren dabei ihr Leben. Letzte Woche erst sind sieben Menschen vor Lesbos ertrunken, darunter zwei Kinder.
Ohne jegliche Infrastruktur
Der Afghane Hussein-Ali ist einer der Flüchtlinge. Zusammen mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern wohnt der 31-Jährige in einem Zelt ausserhalb des offiziellen Camps von Moria, im Olivenhain. Dort hat sich eine regelrechte Zeltstadt ohne jegliche Infrastruktur mit 1000 Menschen gebildet.
Ali lebt mit seiner Familie in einem kleinen Kunststoffzelt: «Mein Freund hat uns dieses zur Verfügung gestellt, denn ein eigenes haben wir nicht.» Man habe ihnen gesagt, dass das Lager voll sei und kein Zelt übrig sei.
Der Freund ist der 18-jährige Ali Reza, ebenfalls Afghane. Die Umstände in Moria seien unmenschlich. «Es sind einfach zu viele Menschen hier, das Camp ist überfüllt, die Toiletten dreckig, das Essen schlecht.»
Kinder würden unter diesen schlechten Lebensbedingungen am meisten leiden, sagt Kinderärztin Carola Buscemi von den Ärzten ohne Grenzen. In der provisorischen Containerklinik der Hilfsorganisation untersucht die 33-jährige Italienerin rund 60 Kinder am Tag.
Psychisch kranke Kinder
«Die meisten Kinder haben Virusinfekte, Atemwegserkrankungen oder Magendarmerkrankungen. Bei so vielen Menschen auf engstem Raum übertragen sich die Viren schnell.»
Besonders schockierend ist für Buscemi, dass immer mehr Kinder psychisch erkranken. Diese Kinder seien vorbelastet, hätten in ihrer Heimat und auf der Reise Schlimmes erlebt, aber stets die Hoffnung auf ein besseres Leben gehabt. «Dann erreichen sie Moria und die Hoffnung, die sie hatten, geht zugrunde.»
Diese Bedingungen seien kein Zufall, glaubt die Menschenrechtsaktivistin Lorraine Lead. Die US-Amerikanerin engagiert sich seit über zwei Jahren im Support-Centre Mosaik und hilft den Geflüchteten von Moria in ihrem Asylverfahren.
Die Bedingungen im Camp sollen ein klares Signal an die Flüchtlinge und Migranten ausstrahlen: «Moria wird bewusst in dieser Verfassung gehalten. Das ist Teil der europäischen Flüchtlingspolitik und soll der Abschreckung dienen.»
Es sei der erste Ort, an dem die Flüchtlinge ankämen und sie wüssten schon vor ihrer Ankunft, wie schlecht es dort sei. Aber: «Dieser Ansatz funktioniert nicht, die Menschen kommen nach wie vor. Es bildet sich nur ein Slum am Rande Europas.»
«Ich möchte ins echte Europa»
Das griechische Migrationsministerium weist jede Verantwortung von sich. Das Lager habe nun mal eine begrenzte Kapazität. Es sei für 3100 Menschen ausgelegt, sagt Vize-Campmanager Dimitris Vafeas. Langfristig könne es nur eine Lösung geben: «Es muss eine Umverteilung der Flüchtlinge geben. Griechenland kommt mit der Zahl der ankommenden Menschen einfach nicht klar.»
Schliesslich würden die meisten Flüchtlinge Griechenland nach wie vor als Zwischenstopp sehen. Hier bleiben wolle kaum jemand. Auch Hussein Ali nicht: «Ich möchte weiter, und zwar ins echte Europa, damit meine Kinder eine Zukunft haben.» Doch einen legalen Weg nach Zentraleuropa gibt es für ihn nicht. Eine Weiterreise würde bedeuten, dass er und seine Familie sich wieder in die Hände der Schlepper begeben müssten.