Darum geht es: An der Grenze zwischen Belarus und Polen stecken Tausende Menschen fest, die nach Europa wollen. Die EU wirft dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus den Krisenregionen in Irak und Syrien einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Eine wichtige Rolle spielen dabei Schlepperbanden, die solche Reisen überhaupt erst ermöglichen. Die NZZ-Nahostkorrespondentin Inga Rogg geht davon aus, dass sich inzwischen mehr als 10'000 Menschen aus der Krisenregion in Belarus befinden. Ihr Ziel: Westeuropa.
So funktioniert das Schleppersystem: Rogg kennt das System im nordirakischen Kurdengebiet. Demnach kontaktiert eine Person, die nach Europa will – bei vielen von ihnen handle es sich um Jesiden – zunächst einen dortigen Menschenschmuggler. Dieser garantiert, die Person oder die Familie in das gewünschte westeuropäische Land zu bringen und nennt dafür seinen Preis: «Dieser ‹all-inclusive-Service› kostet 10'000 bis 13'000 Dollar pro Person», so Rogg. Je erfolgreicher ein Menschenschmuggler sei, umso höher ist sein Ansehen – und umso mehr Menschen wenden sich an ihn. Dabei werde der Kontakt über Verwandte, Freunde oder über Mund-zu-Mund-Propaganda vermittelt.
Das ist die Fluchtroute: Der Weg vom nordirakischen Erbil nach Europa führe meist über die Türkei, so Rogg. «Da spielen seit langem etablierte Netzwerke eine grosse Rolle, schliesslich flüchten schon seit Jahrzehnten Menschen aus Kurdistan.» In der Türkei wiederum hätten die dortigen Schlepper Beziehungen zur Polizei und arbeiteten mit Bestechungsgeldern. «International gesehen kann man durchaus von mafiösen Strukturen sprechen», sagt die Journalistin. Insofern sei der kurdische Schlepper bloss das erste Glied in der internationalen Kette der Schmugglermafia. Am Freitagabend gab die türkische Luftfahrtbehörde aber bekannt, dass Menschen mit syrischen, irakischen und jemenitischen Pässen bis auf Weiteres keine Tickets mehr für Flüge nach Belarus kaufen dürfen.
Darum geht neuerdings die Route über Belarus: Dass neuerdings Direktflüge aus Syrien nach Belarus angeboten werden, ist mit ein Grund, warum plötzlich so viele Migrantinnen und Flüchtlinge über Belarus nach Europa zu gelangen versuchen. «Es gibt Berichte, wonach sich Vertreter des syrischen und des belarussischen Regimes getroffen haben – kurz danach wurden die Direktflüge von Damaskus nach Minsk aufgenommen», so Rogg. Bei der involvierten Fluggesellschaft handle es sich um eine, die dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad nahestehe. Dagegen seien in Irak und im Kurdengebiet kaum Behördenvertreter in die Schlepperaktivitäten involviert, so Rogg.