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Flüchtlingskrise in Del Rio «Die Uhr tickt für die Menschen an der Grenze – und für Biden»

Derzeit versuchen tausende Haitianerinnen und Haitianer von Mexiko in die USA zu gelangen. Bilder zeigen, wie Polizisten sie gewaltsam daran hindern, die Grenze zu überqueren. Prominente Demokraten kritisieren diesen Einsatz, so etwa der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, aber auch Vizepräsidentin Kamala Harris. Was hinter der Kritik an der Migrationspolitik Bidens steckt, erklärt USA-Expertin Sarah Wagner.

Sarah Wagner

Politologin

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Sarah Wagner ist USA-Expertin und stellvertretende Direktorin bei der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern.

SRF News: Kann die Situation an der Südgrenze der USA zur Hypothek für die Regierung von Joe Biden werden?

Sarah Wagner: Die Lage an der Südgrenze der USA ist definitiv problematisch für Joe Biden, denn er steht hier von beiden Seiten in der Kritik. Die Republikaner werfen ihm vor, Einwanderungsbestimmungen nicht durchzusetzen und somit für die chaotische Lage verantwortlich zu sein.

Die Demokraten fordern, Biden solle sich auf seine Wahlversprechen konzentrieren, die Einwanderungspolitik humaner zu gestalten.
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Die Demokraten, die eigene Partei, sehen die Lage genau anders. Sie werfen Biden vor, die Politik der Trump-Regierung fortzusetzen. Sie fordern, er solle sich auf seine Wahlversprechen konzentrieren, die Einwanderungspolitik humaner zu gestalten.

Vizepräsidentin Kamala Harris verurteilt den Einsatz an der Grenze zu Mexiko. Aber sie ist verantwortlich für die Migrationspolitik. Stehen ihre Worte und Taten nicht im Widerspruch?

Harris hat den Umgang der Grenzpolizei mit den Migranten und Migrantinnen vor Ort kritisiert. Es ging ihr in ihrer Kritik nicht um die grundsätzliche Politik der Biden-Administration. Erst im Juli hat Harris die Strategie der Regierung vorgestellt, wie man Länder in Zentralamerika besser unterstützen kann, sodass die Menschen sich nicht von dort aus auf den Weg in die USA machen müssen. Aber an den aktuellen Bildern sieht man sehr deutlich, dass die bisherigen Bemühungen von Harris noch nicht erfolgreich waren. Die Bilder erinnern stark an die Zeit der Trump-Administration.

Bislang setzten Harris und Biden auf eine harte Politik und auf Abschreckung. Waren das bis jetzt nur Lippenbekenntnisse, sich von der Trump-Regierung absetzen zu wollen?

Das Weisse Haus verfolgt momentan definitiv eine Politik der Abschreckung. Man sieht sich mit einer enorm hohen Zahl an Menschen konfrontiert, die versuchen, in die USA zu gelangen. Biden hat anfangs den Willen signalisiert, Änderungen in der Politik durchzusetzen, zum Beispiel durch Exekutivanordnung. Gleichzeitig will er auch nicht zu schwach wahrgenommen werden, was das Thema Einwanderung und Sicherheit betrifft.

Das Weisse Haus verfolgt momentan definitiv eine Politik der Abschreckung.
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Er hat einige Regelungen beibehalten, die noch unter der Trump-Regierung initiiert wurden. Die Demokraten im Kongress wollen eine Reform des Einwanderungsgesetzes durchsetzen. Das ist aktuell etwas schwierig aufgrund von bestimmten gesetzlichen Vorgaben und der Tatsache, dass die Republikaner daran wenig Interesse haben.

Was darf man in nächster Zeit von Biden und Harris punkto Migrationspolitik erwarten?

Die Administration hat gesagt, dass man das Camp in Del Rio innerhalb der nächsten zehn Tage aufgelöst haben möchte. Eine langfristige Strategie ist meiner Ansicht nach noch nicht zu erkennen. Das Grundproblem ist, dass in der US-Einwanderungspolitik ein grosser Reformstau herrscht.

Die Grundstrategie der Biden-Administrationen, die Länder in Zentralamerika zu unterstützen, wird keine kurzfristigen Erfolge zeigen können. Zudem stehen die Demokraten unter Zeitdruck, denn die Zwischenwahlen im Herbst 2022 stehen vor der Tür und die Partei könnte ihre Mehrheit im Kongress verlieren. Die Uhr tickt für die Menschen an der Grenze und für Joe Biden.

Das Gespräch führte Rino Curti.

SRF 4 News, 22.09.2021, 10:34 Uhr ; 

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