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Flüchtlingskrise in Texas «Bilder aus Del Rio sind für Republikaner ein gefundenes Fressen»

An der Grenze zwischen den USA und Mexiko harren beim texanischen Del Rio Tausende Migrantinnen und Migranten unter einer Brücke aus. Die meisten von ihnen kommen aus Haiti und wollen in die USA. Doch die US-Regierung will die Menschen nicht ins Land lassen und fliegt sie zurück nach Haiti. SRF-Korrespondent Matthias Kündig weiss mehr über die Hintergründe.

SRF News: Hängt der Andrang der Flüchtlinge aus Haiti an der US-Südgrenze mit den kürzlichen Verheerungen durch ein Erdbeben und einen Hurrikan in Haiti zusammen?

Matthias Kündig: Nein. Offenbar haben die meisten der Menschen Haiti schon vor Monaten oder sogar Jahren verlassen und in Ländern wie Mexiko, Chile oder Brasilien gelebt. Sie versuchten dort entweder, sich eine Existenz aufzubauen oder Geld für die weitere Flucht in die USA zu verdienen – was aber immer schwieriger wird.

Zu Fuss durch Südamerika

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Die meisten Haitianer fliegen von Haiti aus nach Ecuador – das Land verlangt kein Visum. Sie reisen dann von dort aus weiter, meist in Richtung USA. Die Migrationsrouten durch Süd- und Mittelamerika werden oft zu Fuss absolviert und dauern entsprechend lange.

Fluchtrouten aus Haiti
Legende: Fluchtrouten aus Haiti. srf

Warum versammeln sich diese Menschen gerade jetzt und gerade in Del Rio?

Dazu gibt es bloss Vermutungen. Migrantinnen und Migranten informieren sich meist über grosse WhatsApp-Gruppen, in denen die (Falsch-)Informationen geteilt werden. Informationen erhalten sie auch von Schleppern, hinter deren lukrativem Geschäft oft die organisierte Kriminalität steckt. Offenbar machte die Falschinformation die Runde, dass der Grenzübergang in Del Rio in Richtung USA offen sei. So entwickelte sich dieser unglaubliche Sog.

Es entwickelte sich ein unglaublicher Sog.
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Haben die US-Behörden bereits begonnen, die Migrantinnen und Migranten möglichst rasch in ihre Heimatländer auszufliegen?

Ja, schon am Sonntag wurden die ersten Haitianerinnen und Haitianer nach Port-au-Prince zurückgeflogen, am Montag gingen die Ausschaffungsflüge weiter. Von den US-Behörden hiess es, man werde alle Personen, die ohne gültige Papiere die Grenze überquerten, in ihre Heimat oder in ein Land zurückfliegen, in dem sie eine gültige Aufenthaltsbewilligung hätten.

Asylgesuch stellen nicht möglich

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Wegen der Pandemie können an der US-Südgrenze derzeit nur unbegleitete Minderjährige sowie Familien mit kleinen Kindern ein Asylgesuch für die USA stellen und dort auf einen Entscheid warten. Alle anderen werden an der US-Grenze seit anderhalb Jahren konsequent abgewiesen oder direkt in ihre Heimat zurückgeschafft.

Auf Bildern sind Tausende Menschen unter der Grenzbrücke bei Del Rio zu sehen. Sie harren seit Tagen dort aus – was lösen die Bilder in den USA aus?

Die Migration ist als Thema in den Medien wieder ganz nach oben gerückt. Dabei muss die Regierung von US-Präsident Joe Biden von allen Seiten Kritik einstecken: Die Republikaner machen ihn für den Ansturm in Del Rio grundsätzlich verantwortlich, weil die Regierung falsche Anreize setze. Die Bilder aus Del Rio sind für sie ein gefundenes Fressen.

Die Bilder aus Del Rio sind für die Republikaner ein gefundenes Fressen.
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Herbe Kritik kommt aber auch von Bidens Demokratischer Partei: Dort kritisiert man ihn dafür, dass er mit Verweis auf die Pandemie immer noch so viele Menschen abweisen lässt. Zudem gibt es Proteste gegen die Rückschaffungsflüge nach Haiti. Tatsächlich ist es schwer erklärbar, weshalb Biden die Rückschaffung von papierlosen Haitianern in den USA erst im Sommer ausgesetzt hat, während jetzt Tausende Haitianerinnen und Haitianer aus Del Rio zurückgeschafft werden sollen.

Wie reagiert man im bitterarmen Haiti auf die Rückschaffungen aus den USA?

Die haitianischen Behörden ersuchten Washington, aus humanitären Gründen auf die Rückschaffungen zu verzichten. Und einzelne Mitarbeiter der dortigen Migrationsbehörden betonten gegenüber Journalisten, die Ankunft von schätzungsweise 14'000 Menschen aus Del Rio überfordere das Land völlig. So sind im Erdbebengebiet im Süden Haitis noch immer zehntausende Menschen obdachlos. Doch das Land sitzt am kürzeren Hebel: Haiti muss eigene Bürger zurücknehmen und ausserdem ist das Land nach den Naturkatastrophen auf die Hilfe aus den USA angewiesen.

Das Gespräch führte Lillybelle Eisele.

SRF 4 News aktuell vom 21.9.2021, 07.20 Uhr ; 

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