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Folgen der Affäre Duhamel Frankreich geht den weit verbreiteten Inzest an

Das französische Parlament debattiert über ein neues Gesetz. Dabei stellen sich heikle Fragen.

Anders als etwa in der Schweiz ist in Frankreich Inzest nicht grundsätzlich strafbar. Auch juristisch wird Inzest unterschiedlich definiert. In der Schweiz geht es um sexuelle Beziehungen zwischen Blutsverwandten im ersten und zweiten Grad.

In Frankreich wird der familiäre Kreis erweitert. Vor allem sind dort auch neue Partner der leiblichen Eltern inkludiert, wenn sie eine Art elterliche Gewalt ausüben.

Diskussion um Schutzalter 18

Die Debatte dreht sich deshalb um Kindesmissbrauch und den Begriff «Consentement»: War ein sexueller Kontakt zwischen Kindern oder zwischen einem Erwachsenen und einem Kind einvernehmlich?

Dagegen wehrt sich die sozialistische Abgeordnete Isabelle Santiago. Inzest oder sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen könnten nie einvernehmlich sein, sagte sie in der Debatte.

Ein Buch brachte die Sache ins Rollen

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Die Diskussion um Inzest in Frankreich begann mit dem Buch der französischen Anwältin Camille Kouchner. Darin wirft sie ihrem Stiefvater, dem einflussreichen Verfassungsjuristen Olivier Duhamel, vor, er habe ihren Zwillingsbruder missbraucht. Seither ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern in der eigenen Familie, also Inzest, ein grosses Thema in Frankreich. Zahlreiche andere Fälle von Kindsmissbrauch und Inzest wurden in Medien und sozialen Netzwerken an die Öffentlichkeit gebracht. Mittlerweile hat sich die Politik eingeschaltet. Am Donnerstag wurde ein erster konkreter Schritt gemacht: die Nationalversammlung verabschiedete in erster Lesung ein Gesetz, das Kinder besser schützen soll.

Auf ihren Antrag will die Nationalversammlung neu ein Schutzalter einführen. Bei sexuellen Beziehungen innerhalb der Familie sind es 18 Jahre. Das Gesetz geht nun an den Senat, der sich bereits für eine andere Fassung ausgesprochen hat.

Zehn Prozent haben Inzest erfahren

Ihren Vorschlag hatte Santiago anfangs Januar eingereicht. Zur gleichen Zeit, als das Buch zur Missbrauchsaffäre Olivier Duhamel erschien. Allerdings sei das Thema schon länger aktuell geworden, sagt Patrick Loiseleur, Vizepräsident der Kinderschutzorganisation «Face à l'Inceste».

Schon im November letzten Jahres zeigte die Organisation mit einer Umfrage, dass zehn Prozent der Befragten Inzest erfahren hätten.

Der Bevölkerung sei darum laut Loiseleur sehr wohl bewusst, dass die Geschichte von Camille Kouchner schnell ähnlich für 100'000 Familien in Frankreich gelte. Das Thema sei besonders heikel, weil es mit der Familie einen besonders intimen Erfahrungsbereich betreffe. Denn die Kinder stünden unter starkem Druck, zu schweigen.

Millionen Betroffene in Frankreich

Loiseleur kennt die Informationsveranstaltungen, die «Face à lnceste» an Schulen durchführt, bei denen Kinder zum Beispiel über ihre Rechte aufgeklärt würden.

Meistens würden sich anschliessend Kinder entweder bei der Lehrperson oder beim Kursleiter melden. Das Problem betreffe Millionen und bleibe trotzdem auf der Oberfläche unsichtbar. Von sich aus, glaubt er, würden Kinder innerhalb der Familie über Missbrauchserfahrungen reden. In den meisten Fällen würden sie aber nicht gehört.

Immense Dunkelziffer

Darum sei die Dunkelziffer beim Missbrauch von Kindern innerhalb der Familie besonders gross. Denn viele Kinder würden durch die Familie unter grossen Druck gesetzt, zu schweigen. Viele reden erst, wenn sie längst erwachsen sind, oft Jahrzehnte später. Darum sind auch Verjährungsfristen wichtig. In Frankreich sind es derzeit 30 Jahre.

Kinderschutzorganisationen möchten die Frist ganz aufheben. Das will die Regierung aber nicht. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass nur Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren sollen. Die Verjährungsfrist wird darum bei der weiteren Beratung des Kinderschutzgesetzes im Parlament ein weiterer Streitpunkt sein.

SRF 4 News, Rendez-vous vom 19.2.2021, 12.30 Uhr

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