In letzter Minute haben Brüssel und London am Heiligabend ihren Handelspakt für die Zeit nach der Brexit-Übergangsphase über die Ziellinie gebracht. Das mehr als 1200 Seiten starke Dokument regelt verschiedene Fragen:
Kein No-Deal, aber ist das nun ein weicher Brexit?
Nein. Die weiche Landung, die sich viele in der EU noch lange erhofft hatten, war spätestens mit dem Wahlerfolg Boris Johnsons im vergangenen Jahr vom Tisch. Grossbritannien verlässt Binnenmarkt und Zollunion, und ist deutlich weiter vom Orbit Brüssels entfernt als beispielsweise Norwegen oder die Schweiz. Wirtschaftsverbände auf beiden Seiten des Ärmelkanals hatten sich deutlich mehr erhofft. Die Zusammenarbeit ist auf ein Minimum beschränkt. Der Brexit ist also eher hart. Aber es ist kein Sturz über die Klippe mit chaotischen Folgen für Wirtschaft und Menschen.
Was bedeutet das für den Handel?
Zwar fallen für britische Waren durch den Handelspakt künftig keine Zölle an, doch britische Exporteure in die EU müssen vom Jahreswechsel an aufwendig nachweisen, dass ihre Produkte tatsächlich überwiegend im eigenen Land hergestellt wurden. Auch Nachweise für die Einhaltung der EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards müssen künftig erbracht werden.
Die britische Regierung hat angekündigt, vorerst einmal alles durchzuwinken, was aus der EU kommt. Erst nach und nach sollen Papiere vorgelegt werden müssen und Kontrollen stattfinden. Doch auf EU-Seite sieht das anders aus. Die französische Regierung kündigte am Freitag an, britische Waren vom Jahreswechsel an «massiv» zu überprüfen.
Woran hakte es zuletzt noch?
Ein weiteres kniffliges Thema war die Frage nach gleichen Wettbewerbsbedingungen. Brüssel wollte verhindern, dass die Briten ihre Standards bei Arbeitnehmerrechten und dem Umweltschutz senken, und sich dadurch einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Auch die Gefahr, dass London die Standards «einfriert», während sie in der EU im Laufe der Jahre weiterhin steigen, sollte gebannt werden. Ob das der Fall ist, soll nun von unabhängiger Seite geprüft werden. Notfalls könnte die EU mit Zöllen reagieren, um ihren Markt zu schützen.
Was versprechen sich die Briten eigentlich vom EU-Austritt?
Der Austritt aus der Zollunion erlaubt Grossbritannien auf eigene Faust Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie den USA, Indien oder China zu schliessen. Premier Boris Johnson will das Land zudem zum global führenden Standort für Zukunftstechnologie machen. Das Vereinigte Königreich solle ein «Saudi-Arabien der Windkraft» und eine «Supermacht für Wissenschaft und Forschung» werden, kündigte er an.
Unterm Strich ist der ökonomische Schaden, der durch den Brexit angerichtet wird, laut Experten durch nichts wiedergutzumachen. Der Brexit gilt daher vor allem als politisches Projekt, das von einer Sehnsucht zu den goldenen Zeiten des britischen Empires angetrieben wurde.
Was ändert sich für Ausländer, die nach Grossbritannien reisen oder auswandern?
Die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und Grossbritannien endet mit dem 31. Dezember 2020. Das bedeutet, wer künftig in Grossbritannien arbeiten und leben will, muss ein Visum beantragen. Das soll durch ein punktebasiertes System geregelt werden, bei dem Faktoren wie die Höhe des Einkommens und die Branche eine Rolle spielen. Für Touristen wird es bei kürzeren Reisen keine Visumspflicht geben.
Welche Bereiche sind nicht im Brexit-Handelspakt geregelt?
Das Thema Aussen- und Sicherheitspolitik wurde auf Wunsch der britischen Regierung von den Verhandlungen ausgenommen. «Vom 1. Januar an wird es keinen Rahmen zwischen Grossbritannien und der EU geben, um eine koordinierte Antwort auf aussenpolitische Herausforderungen zu entwickeln und zu koordinieren», heisst es in einer Übersicht der EU-Kommission. Das betreffe beispielsweise Sanktionen gegen Einzelpersonen oder die Wirtschaft von Drittstaaten.
Auch die automatische Anerkennung von Berufsabschlüssen fällt weg. Beispielsweise Ärzte, Ingenieure und Architekten und viele weitere Berufsgruppen müssen ihre Qualifikation künftig nach den Regeln der einzelnen Länder, in denen sie arbeiten wollen, nachweisen. Am europäischen Erasmus-Programm zum Studentenaustausch wird Grossbritannien künftig nicht mehr teilnehmen.
Wie geht es nun weiter?
Aufgrund des Zeitdrucks muss improvisiert werden. Ab Januar soll der Handelspakt zunächst vorläufig angewendet werden. Dafür müssen alle 27 EU-Staaten sowie einige nationale Parlamente zustimmen. Das Europaparlament wird den Vertrag dann im Januar nachträglich prüfen – und könnte ihn theoretisch ablehnen. Das britische Parlament soll das Abkommen am 30. Dezember durchwinken.