«La France russe»:
- Weite Teile der französischen Politik rechts der Mitte unterstützen Putins Politik, so die zentrale These im Buch Hénins.
- Beide derzeit vorne liegenden Präsidentschafts-Kandidaten, Fillon und Le Pen, sind Anhänger Putins.
- Hénin erwartet eine möglicherweise «spektakulären Annäherung» Frankreichs an Russland, sollte Fillon Präsident werden.
SRF News: Sie schreiben in Ihrem Buch, es gebe in Frankreich eine ziemlich grosse Koalition von Putin-Freunden. Diese Personen bildeten eine sehr heterogene Koalition.
Nicholas Hénin: Ja. Die ist tatsächlich sehr heterogen. Aber diese Heterogenität ist auch ihre Stärke. Wäre diese Koalition eindeutig katholisch oder eindeutig rechts oder links, dann würde sie nicht alle Zielgruppen umfassen. Die Stärke von Putins Diskurs ist, dass er sich an alle möglichen Adressaten richtet. Jeder und jede findet ein Versprechen, von dem er oder sie sich verführen lassen kann.
Wenn Sie sehr links sind, wird Ihnen sein anti-amerikanistisches Argument, es brauche mehr Ausgleich auf der internationalen Bühne, gefallen. Wenn Sie sehr katholisch sind, dürfte Ihnen die Idee zusagen, man müsse die europäisch-abendländische Kultur verteidigen. Als Geschäftsmann oder -frau bekommen Sie von Putin das Versprechen eines Supergeschäfts.
Putins Stärke ist einerseits diese thematische Breite, aber auch, dass er ganz verschiedene Niveaus anspricht. Er bringt boulevardeske Argumente, aber auch hochintellektuelle. So gelingt es ihm, das ganze Spektrum der Gesellschaft abzudecken.
In Frankreich steigt François Fillon für die Konservativen ins Rennen ums Staatspräsidentenamt. Von ihm heisst es, er sei ein guter Freund Putins. Stimmt das?
Das Besondere an Fillon ist, dass er eigentlich nicht besonders russlandfreundlich ist. Aber er hat in den letzten Jahren eine persönliche Beziehung zu Wladimir Putin entwickelt. Er ist also wirklich putinophil. Die beiden Männer rufen sich an, treffen sich. Da besteht ein Vertrauensverhältnis. Und das hat natürlich einen Einfluss auf Fillons Positionen in Russlandfragen.
Fillon und Putin rufen sich an, treffen sich. Da besteht ein Vertrauensverhältnis.
Was würde sich in den französischen Beziehungen zu Russland verändern, wenn Fillon Präsident würde?
Möglicherweise würde es zu einer ziemlich spektakulären Annäherung kommen. Und das würde auch die Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Blöcken innerhalb des französischen Staates verschieben. So gibt es innerhalb der Armee oder der Geheimdienste zum Beispiel prorussische Netzwerke. Viele stehen einer französischen Annäherung an Russland aber skeptisch gegenüber. Ich habe gestern mit einem hohen französischen Diplomaten gesprochen und auch der hat gesagt: Sogar die pro-russischsten Leute im Aussenministerium sind weit von Fillons Positionen entfernt.
Würde Fillon versuchen, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben?
Ganz sicher. Eine der aussenpolitischen Prioritäten Russlands ist die Aufhebung der Sanktionen, welche die EU nach der Annexion der Krim verhängt hat. Das wäre ganz sicher ein Thema, das Fillon rasch angehen würde, sollte er gewählt werden. Und es wäre ein grosser Gegensatz zur derzeitigen Debatte in Brüssel. Da wird ja wegen der Kriegsverbrechen, die in Aleppo begangen wurden, über eine Verschärfung der Sanktionen gesprochen.
Sie zeigen in Ihrem Buch, dass auch der Front National von Putin fasziniert ist. Wieso?
Im Herzen des Front National findet man drei Themen wieder, die im Diskurs von Putin eine zentrale Rolle spielen. Jean-Marie Le Pen, der Gründer des Front National, schätzt Putins Russland aus einer antisemitischen Haltung heraus. Er ist befreundet mit mehreren Leitfiguren des russischen Antisemitismus. Marine Le Pen, die heutige Chefin des Front National, sympathisiert mit dem Kampf des Kremls gegen den Islamismus. Und ihre Nichte, Marion Maréchal Le Pen, die jüngste Abgeordnete im französischen Parlament, ist dem Kreml nahe, weil auch sie die Verteidigung des Christentums in den Vordergrund rückt. Sie sieht Putin als den besten Verbündeten für ihren Identitätskult.
Mit Fillon und Le Pen liegen Putins Kandidaten derzeit auch ohne seine Hilfe in Führung.
Traditionell war es ja eher die französische Linke, die mit Russland sympathisierte. Wo reiht sie sich ein?
Bei den Sozialisten ist man Putin gegenüber heute wohl am zurückhaltendsten. Zwar hat man sich am äusseren linken Rand des Parti Socialiste und links davon, bei den Kommunisten, eine sehr grosse Sympathie für Russland bewahrt. Aber das ist eigentlich eher eine Art Nostalgie, ein Reflex, der sich während des Kalten Kriegs gebildet hat. Seither ist es für diese Kreise klar: Der Feind sind die USA und als einziges Gegengewicht für ein Gleichgewicht auf dem Planeten bietet sich Russland an.
Es gibt Gerüchte, Putins Leute hätten die US-Wahlen manipuliert. Sehen Sie Anzeichen dafür, dass Russland so etwas nächstes Jahr bei der Präsidentenwahl in Frankreich vorhat?
Nun, es ist ja schon fast ironisch: Aber mit François Fillon und Marine Le Pen liegen aus russischer Sicht zwei perfekte Kandidaten vorne in den Umfragen – und zwar ohne dass der Kreml eingreift. Klar, jetzt muss man erst mal schauen, was in den kommenden Monaten passiert und wer auf der linken Seite antritt. Aber derzeit liegen Putins Kandidaten auch ohne seine Hilfe in Führung.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.