SRF News: Im Juni wird das französische Parlament neu gewählt. Wie wird Emmanuel Macron danach regieren können?
Gilbert Casasus: Bei der Präsidentenwahl haben die Französinnen und Franzosen die traditionellen Parteien abgestraft. Bei der Parlamentswahl werden diese nun versuchen, sich dafür zu revanchieren. Nach den heutigen Umfragen wird Emmanuel Macron keine absolute Mehrheit im Parlament erreichen. Es wird also zu einer Art Koalitionsbildung kommen – wohl eher mit Personen als mit Parteien.
Es wird also zu einer Art Koalitionsbildung kommen – wohl eher mit Personen als mit Parteien.
Macron und seine Bewegung «En Marche» wollen in allen 577 Wahlkreisen Kandidaten aufstellen. Was werden das für Leute sein?
Sehr unterschiedliche Leute. Frauen und Männer aus unterschiedlichen Berufsgruppen. Einige von ihnen haben bisher noch keine Politik gemacht. Sie könnten zwar frischen Wind ins Parlament bringen, ihnen wird es aber an Erfahrung mangeln.
Wird Marine Le Pen künftig mit dem Front National die Opposition gegen Macron anführen?
Nicht alleine. Le Pen muss zuerst ihre Partei neu strukturieren, wie sie gestern sagte. Interessant dürften aber sein, wie sich die Konservativen bei der Parlamentswahl profilieren. Da werden sicherlich Rechnungen beglichen. Auf der linken Seite wird die Melenchon-Bewegung dezidiert gegen Macron antreten. Schon wird von Widerstand gesprochen. Der neue Präsident muss also mit einem grossen Widerstand auf der linken Seite rechnen.
Wird das Parlament nach der Wahl vom Juni sehr anders aussehen als heute?
Man kann es hoffen, denn die Franzosen haben deutlich gemacht, dass sie einen Systemwechsel wollen. Dazu braucht es auch ein neues Parlament. Ob es erneuert wird, ist allerdings nicht sicher. Wenn es schief geht, kann Macron das neue Parlament in einem Jahr wieder auflösen.
Die Franzosen haben deutlich gemacht, dass sie einen Systemwechsel wollen. Dazu braucht es auch ein neues Parlament.
Auf Macron warten schwierige Aufgaben, vor allem in der Wirtschaft. Gelingt ihm das, woran andere gescheitert sind?
Das Hauptproblem Frankreichs ist die Jugendarbeitslosigkeit. Sehr viele gut ausgebildete Jugendliche wandern daher ins Ausland ab. So kann es in Frankreich nicht weitergehen. Macron muss jetzt bereit sein, den Arbeitsmarkt neu zu reformieren. Dazu muss er die alten Strukturen im Parlament aufbrechen, denen es bisher nicht gelungen ist, die Wirtschaft anzukurbeln. Er muss die Aufgaben mit Mut anpacken und zunächst das Vertrauen aller Beteiligter gewinnen.
Macron muss es schaffen, die verhärteten Strukturen aufzubrechen und Brücken zu bauen, ansonsten wären Frankreich und die Demokratie in Gefahr.
Macron will ein Brückenbauer sein. Wird ihm das gelingen?
Es ist gut, dass eine junger Demokrat realisiert hat, dass Frankreich jetzt einen Brückenbau braucht. Zuerst hatten die Konservativen versucht, die Probleme zu lösen, dann die Linken – beide sind gescheitert. Es ist an der Zeit, die Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Macron muss es schaffen, die verhärteten Strukturen aufzubrechen und Brücken zu bauen, ansonsten wären Frankreich und die Demokratie in Gefahr.