Irlands Premierminister Leo Varadkar entschuldigte sich bereits, bevor alle Stimmen ausgezählt waren. Offenbar sei es der Regierung nicht gelungen, die Irinnen und Iren von der Verfassungsänderung zu überzeugen, sagte er zerknirscht. Das Nein ist eine peinliche Niederlage für die irische Regierung, aber ebenso eine Ohrfeige für die Frauen und alle unverheirateten Paare.
Das natürliche Habitat der Frau bleibt in Irland gemäss Verfassung weiterhin das Zuhause. Die antiquierte irische Verfassung von 1937 umzuformulieren und den gesellschaftlichen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anzupassen, wurde von den Irinnen und Iren an der Urne deutlich abgelehnt.
Irland ist längst im 21. Jahrhundert angekommen
Nach dieser Niederlage liegt die Frage auf der Hand, ob in Irland immer noch Kirche und konservative Werte den moralischen Diskurs prägen. Die Erklärung greift bei genauerem Hinsehen zu kurz: Als eines der ersten Länder hat die irische Bevölkerung 2015 die gleichgeschlechtliche Ehe in der Verfassung verankert. 2018 haben die Irinnen und Iren in einem Referendum gegen den Willen der katholischen Kirche das Abtreibungsverbot beseitigt. Irland ist in gesellschaftspolitischen Fragen also längst im 21. Jahrhundert angekommen.
Umfragen zeigen, dass auch die aktuelle Verfassungsänderung bei den Irinnen und Iren grundsätzlich eine breite Unterstützung fand. Doch der neue Verfassungstext war so verwirrend wie schwer verständlich.
In der irischen Verfassung ist beispielsweise die Familie bis jetzt an die Institution Ehe gebunden. Unverheiratete Paare mit Kindern oder Alleinerziehende geniessen nicht denselben rechtlichen Schutz. Neu sollte der Begriff «Familie» auf Gemeinschaften ausgeweitet werden, die «auf der Ehe oder auf anderen dauerhaften Beziehungen beruhen».
Skepsis wegen schwammiger Formulierung
Kritikerinnen und Kritiker haben jedoch argumentiert, dass der Begriff «dauerhafte Beziehung» eine sehr schwammige Formulierung sei. «Alle wissen, ob sie verheiratet sind oder nicht», schrieb ein irischer Rechtsexperte vor der Abstimmung. Wie und wann eine «dauerhafte Beziehung» genau beginne oder ende, sei dagegen schwierig zu definieren.
Richterinnen und Richter warnten deshalb, dass der vage Verfassungsartikel irische Gerichte künftig in Schwierigkeiten bringen könnte. Wenn beispielsweise bei Sorgerechts- oder Erbstreitigkeiten definiert werden müsste, was «dauerhaft» im strittigen Einzelfall genau bedeute. Selbst liberale Juristinnen und Juristen, aber ebenso feministische Organisationen warnten deshalb vor der Verfassungsänderung.
In diesem Sinn lieferte eine verpfuschte Referendumsvorlage der irischen Regierung mehr Fragen als Antworten. Und am Ende blieb bei den Irinnen und Iren wohl das Gefühl, im Zweifelsfall lieber erst einmal nichts zu ändern.