In der englischsprachigen Medienmitteilung über die neuen Kabinettsposten der Taliban-Regierung war ein Ministerium nicht übersetzt: Das Ministerium «zur Verbreitung von Tugend und Verhinderung von Laster» – Dawat-wal-Irshad, wie es im Text auf Arabisch stand.
Das sei kein neues Ministerium, sondern die Wiedereinführung einer Moralpolizei, welche die Taliban schon während ihrer ersten Herrschaft führten, sagt Heather Barr von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Es diene dazu, das Moralverständnis der Taliban durchzusetzen.
Während ihrer alten Herrschaft war es dieses Ministerium, welches das Hören von Musik verbot oder Frauen verpflichtete, eine Burka zu tragen. Wird dies nun automatisch wieder der Fall sein?
Zwiespältige Signale
Heather Barr, welche speziell auf die Rechte der Frauen schaut, wägt ab: «Wir sind immer noch daran, herauszufinden, inwiefern sich die heutigen Taliban von ihrer ersten Herrschaft vor 20 Jahren unterschieden.»
Unterschiede gebe es: So stehe die Grundschule auch nach der erneuten Machtübernahme Jungen wie Mädchen offen. Das sei zwischen 1996 und 2001 nicht der Fall gewesen.
Wir sind immer noch daran herauszufinden, inwiefern sich die heutigen Taliban von ihrer ersten Herrschaft vor 20 Jahren unterscheiden.
Zugleich seien weiterführende Schulen für Mädchen noch nicht wieder geöffnet worden oder man sehe Fotos von Seminarräumen mit durch einen Vorhang getrennten Studentinnen und Studenten.
Die Frage ist nur, wie gross die Rückschritte für die Frauen sein werden.
Barr macht sich keine Illusionen: Bei den Frauenrechten werde es Rückschritte geben, das sei nicht die Frage. Die Frage sei vielmehr, wie gross diese Rückschritte seien.
Sie richtet ihr Augenmerk speziell auf die Gesetze aus den letzten zwanzig Jahren: Das bis anhin geltende Strafrecht etwa, das im Vergleich zu den Taliban moderat ist. Oder das 2009 erlassene Gesetz zum Schutz der Frauen vor Gewalt. Ob die Taliban diese Vorschriften in Kraft lassen oder ihre alten drakonischen Gesetze ausgraben, müsse sich zeigen.
Ministerium für Frauenangelegenheiten
Doch allzu optimistisch ist Barr nicht. Das Ministerium für Frauenangelegenheiten zum Beispiel wurde offenbar abgeschafft – oder zumindest nicht neu besetzt. Es war laut Barr auch unter der Präsidentschaft von Ashraf Ghani kein mächtiges Ministerium und hatte praktisch kaum eigene Mittel.
«Es wäre für die Taliban ein Leichtes gewesen, das Ministerium für Frauenangelegenheiten symbolisch weiterzuführen», sagt Barr. Dass sie es nicht taten, zeige, dass sie aus eigenem Antrieb kaum Zugeständnisse machten.
Zugeständnisse müssten den Taliban abgerungen werden. Frauen protestieren derzeit auf den Strassen von Kabul für ihre Rechte, obwohl sie damit rechnen müssen, von Taliban-Kämpfern geschlagen zu werden.
Internationale Gemeinschaft soll Bedingungen stellen
Doch auch die internationale Gemeinschaft habe eine Rolle zu spielen, sagt Barr: «Die Taliban wollen humanitäre Hilfe, sie brauchen Gelder, um ihre Behörden am Laufen zu halten und sie wollen in den internationalen Bankenverkehr eingegliedert und als Regierung anerkannt werden.»
Das seien alles Punkte, bei denen die internationale Gemeinschaft Druck ausüben und ein Entgegenkommen an Bedingungen knüpfen könne.
Eine erste Gelegenheit dafür böte sich bereits kommende Woche, wenn der UNO-Sicherheitsrat darüber entscheidet, seine Unterstützungsmission für Afghanistan weiterzuführen.