Das Tauwetter zwischen Nord- und Südkorea ist verflogen. Die Beziehungen der zerstrittenen Bruderstaaten sind erneut am Gefrierpunkt angelangt. Ausdruck davon: Das Regime in Pjöngjang liess Mitte Juni das Verbindungsbüro beider Länder sprengen.
Damit teilte Diktator Kim Jong-un dem Nachbarn auf unmissverständliche Weise mit, dass an bilateralen Gesprächen derzeit kein Interesse besteht. Hinter der Eskalation soll Kim Yo-jong stecken, die jüngere Schwester des nordkoreanischen Machthabers. Sie gilt als Einflüsterin des Diktators.
Daraus zu schliessen, dass Frauen in der stalinistischen Diktatur eine herausragende Rolle spielen, wäre aber verfehlt. «Kims Schwester ist mit Sicherheit nicht typisch für die Rolle der Frau im Land. Und nicht einmal für das Umfeld, in dem sie sich selbst bewegt», sagt der Journalist und Nordkorea-Kenner Martin Fritz.
Dies zeige sich auch darin, dass Pjöngjangs Propaganda Kim Yo-jong nicht als starke Frau inszeniere – auch wenn südkoreanische Medien sie mit Vorliebe zur Ivanka Trump von Nordkorea machten. Und: Neben Kim Yo-jong gehört nur die Vize-Aussenministerin dem innersten Machtzirkel des Regimes an.
In der nordkoreanischen Gesellschaft bekleidet die Frau eine – wie es Fritz nennt – «widersprüchliche Rolle»: Allem voran soll sie als vorbildliche Hausfrau und Mutter fungieren. «Ein nordkoreanischer Mann darf die Küche traditionellerweise nicht betreten», so der Journalist. Allerdings seien die Frauen auch zu den Ernährern der Familien geworden, da sie auf privaten Märkten Gemüse und Waren verkaufen.
Männer als «Lampen, die nie angehen»
Die nordkoreanischen Männer arbeiten dagegen meist in staatlichen Jobs, die sehr schlecht bezahlt sind. Überläuferinnen bezeichneten ihre Männer auch schon als «Lampen, die nie angehen.» Übersetzt: Als Ernährer der Familie taugen sie nicht.
Nichtsdestotrotz: Im Land herrscht nach wie vor ein äusserst konservatives Rollenbild. Dieses geht aber nur bedingt auf die Umgestaltung der Gesellschaft unter der jahrzehntelangen Kim-Dynastie zurück. «Das Rollenbild ist vor allem geprägt vom Konfuzianismus, der aus China gekommen ist. Nach dieser Tradition hat die Frau in ihrem Leben stets eine Dienerin des Mannes zu sein», erklärt Fritz.
Kluft zwischen Theorie und Praxis
Frei nach Konfuzius: Als Tochter dient sie ihrem Vater, als Ehefrau ihrem Mann und als Mutter ihrem Sohn. Widersprüchlich wird es allerdings, wenn Konfuzius auf Marx trifft: denn der Kommunismus predigt die Gleichheit der Geschlechter.
Das zeigt sich auch in Nordkorea. Der internationale Frauentag ist ein Feiertag, 20 Prozent der Sitze im Parlament sind für Frauen reserviert und alle Frauen müssen sieben Jahre Wehrdienst leisten. «Offiziell gibt es also gleiche Rechte für Männer und Frauen. In der gesellschaftlichen Praxis sieht es aber anders aus», schliesst Fritz.