Russland macht Ernst mit regierungskritischen Personen und Organisationen. Das zeigen zwei Urteile: die erneute Verurteilung des berühmten Putin-Kritikers Alexej Nawalny und das weiterhin geltende Verbot der Menschenrechtsorganisation Memorial.
Trotz der Verurteilung Nawalnys will sein Team den Antikorruptionskampf in Russland fortsetzen, wie es ankündigte – aus dem Ausland. «Im Fokus sollen weiterhin auch russische Beamte und der russische Präsident stehen», erklärt Christina Nagel. Sie ist die Leiterin des ARD-Büros in Moskau.
Die Organisation von Nawalny wurde bereits als extremistisch eingestuft und verboten. Deshalb hätten viele Mitstreiter und Vertraute das Land verlassen. «Der extrem hohe Druck war einfach zu gross», erklärt Nagel.
Und auch Nawalny selbst werde es nach dem erneuten Urteil wohl noch schwerer haben. Denn, anders als bisher, muss er die zusätzlichen neun Jahre Strafkolonie unter strengeren Haftbedingungen absitzen.
Die beiden Urteile gegen Nawalny und die verbotene Menschenrechtsorganisation sind laut Christina Nagel Signale der politischen Führung Russlands, «dass kritische Stimmen in diesem Land keinen Platz mehr haben». Das gelte sowohl für die Aufarbeitung der Stalinzeit als auch für Organisationen, die sich für Menschen- und Bürgerrechte einsetzen.
«Man hat hier einfach kein Interesse mehr an irgendeiner Form von kontroverser Auseinandersetzung.» Alles, was nicht der Kremllinie entspreche, solle beschränkt, verboten und weggedrängt werden, erklärt die Journalistin.
Auffälliges Timing der Urteilssprechungen
Über den Zeitpunkt der beiden gefällten Urteile wird viel spekuliert. «Das Timing scheint auffällig», sagt auch Nagel. «Die Welt guckt im Moment auf die Ukraine. Die internationale Aufmerksamkeit für solche Prozesse gegen Memorial und gegen Alexej Nawalny ist deutlich geringer.»
Und auch das Land selbst sei mit anderen Dingen beschäftigt. «Es gibt zwar Kritik an diesen Urteilen, aber die ist lange nicht so laut und nicht so nachdrücklich wie sonst. Das könnte durchaus ins Kalkül des Kremls passen.»
Verbot von sozialen Medien
Russland sperrt nicht nur regierungskritische Stimmen weg, es zensiert auch kritische Medien. Das Land hat mittlerweile auch soziale Medien verboten. Dadurch finden kritische Stimmen noch weniger Resonanz.
Das würden vor allem die Jüngeren im Land merken, so Nagel. «Sie haben sich über das Internet und die sozialen Medien informiert, sich ein breiteres Bild der Lage gemacht.» Über die Staatsmedien hinaus.
Nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch auf der Strasse können sich die Menschen kaum mehr frei äussern. «Die Leute, die sich mit ausländischen Medien auseinandersetzen, haben die Sorge, dass es Repressionen geben könnte», erzählt Christina Nagel von ihrer Erfahrung.
Man sehe es auch bei nicht genehmigten Kundgebungen: «Selbst Menschen, die sagen, sie stehen hinter der Kreml-Entscheidung, sie halten diesen Krieg – den man hier nicht so nennen darf – für richtig, werden erst mal festgenommen.» Diese Signale würden wahrgenommen und machen die Menschen vorsichtig.