Es ist der 7. Januar 2015 in Paris, auf der Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo». Während der Redaktionssitzung dringen zwei maskierte Männer ins Sitzungszimmer ein und erschiessen kaltblütig zwölf Menschen. Dann ergreifen sie die Flucht.
Am nächsten Tag erschiesst ein Freund der Charlie-Attentäter eine Polizistin und nimmt am folgenden Tag in einem jüdischen Supermarkt mehrere Geiseln. Er fordert freien Abzug für Charlie-Attentäter, die sich in einer Druckerei verschanzt haben. Er bringt vier seiner Geiseln um.
17 Tote ist die blutige Bilanz der beiden Anschläge – die drei Attentäter werden bei Einsätzen der Polizei erschossen.
Prozess mit ausserordentlichen Dimensionen
Die Anschläge in Paris Anfang Januar 2015 erschütterten nicht nur Frankreich – sie weckten Echo und Solidaritätsbekundungen weit über Frankreichs Grenzen hinaus. Der Prozess im Strafgericht von Paris hat ähnlich ausserordentliche Dimensionen.
Vor Gericht treten nicht nur die Ankläger der Staatsanwaltschaft auf. Auch 200 Zivilkläger sind vertreten. Selbst im grossen Justizpalast von Paris bietet kein Saal genügend Platz. Die Verhandlungen aus dem eigentlichen Gerichtssaal werden in vier weitere Räume übertragen, wo Zivilkläger, Anwälte und Medienleute sowie Zuschauer den Verhandlungen folgen werden.
Der Prozess wird über zwei Monate dauern, 49 Verhandlungstage sind geplant, um Fragen zu klären, die auch nach fünf Jahren noch immer offen sind.
Prozessaufnahmen fürs Nationalarchiv
«Warum diese Anschläge auf ‹Charlie Hebdo› und den Supermarkt ‹Hyper-Cacher›?» «Wer waren die Hintermänner?» Solche Fragen stellte der damalige Staatspräsident François Hollande im französischen Fernsehen. Für die Opfer und ihre Angehörigen solle die Justiz Gerechtigkeit schaffen, sagte Hollande der Zeitung «La Croix», und das französische Volk habe ein Recht, die Hintergründe dieser Taten zu erfahren.
Sicher ist: Der Prozess zu den Anschlägen im Januar 2015 wird auch ein Prozess für die Geschichte. Die Verhandlungen werden vollständig gefilmt. Das Filmmaterial ist bestimmt fürs französische Nationalarchiv. Dort soll es Historikern für Forschungsarbeiten zur Verfügung stehen. Für eine öffentliche Ausstrahlung soll es frühestens in 50 Jahren freigegeben werden.
Solche Aufzeichnungen sind in Frankreich seit 1985 möglich – dafür braucht es einen Gerichtsbeschluss. Bisher wurden in Frankreich elf Prozesse gefilmt, darunter das Verfahren gegen den Kriegsverbrecher Klaus Barbie.
Helfer und Helfershelfer vor Gericht
Vor Gericht stehen mutmasslichen Helfer der drei Täter, der sogenannte zweite Kreis. Angeklagt sind 14 Frauen und Männer. Sie sollen den drei Attentätern bei der Vorbereitung geholfen haben. Sie sollen Waffen und Sprengstoff oder Geld, das für die Aktion gebraucht wurde, beschafft haben. Einige Angeklagte dienten als Verbindungsleute zur Terrororganisation «Islamischer Staat», zu der sich die drei Attentäter bekannt hatten.
Drei der Angeklagten werden noch immer mit einem Haftbefehl gesucht. Die 11 anderen Angeklagten stehen vor Gericht – die Anklage fordert Strafen zwischen 20 Jahren Gefängnis und lebenslänglich.