Es wäre eine grosse Überraschung gewesen, wenn die G20-Aussenminister in Delhi heute eine gemeinsame Abschlusserklärung zustande gebracht hätten. Schon das ergebnislose G20-Finanzministertreffen der letzten Woche hatte gezeigt, wie tief der Graben zwischen den grossen Wirtschaftsblöcken ist – und wie gross ihre Rivalität.
Der Ukraine-Krieg mit seinen globalen Auswirkungen hat den Graben noch deutlich vertieft. Auf der einen Seite die USA und ihre westlichen Alliierten. Auf der anderen Russland und China, die ihre Allianz auch mit diesem Treffen weiter ausgebaut haben.
«Wäre es ein perfektes Treffen gewesen, hätten wir ein gemeinsames Communiqué verabschiedet», sagte der indische Aussenminister und Gastgeber Subrahmanyam Jaishankar nach der Zusammenkunft. Aber es war kein perfektes Treffen.
Zehn Minuten zwischen Blinken und Lawrow
Das zeigt schon die aggressive Wortwahl der beiden Hauptkontrahenten: US-Aussenminister Antony Blinken erklärte, das Treffen sei durch den «unprovozierten und ungerechtfertigten Krieg» Russlands stark belastet worden. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow warf dem Westen dagegen «Erpressung und Drohungen» vor.
In dieser aufgeheizten Atmosphäre werteten manche es schon als Fortschritt, dass Blinken und Lawrow überhaupt miteinander geredet haben. Nur zehn Minuten am Rande des Treffens zwar, aber immerhin. Es war das erste Mal, seit Russland vor gut einem Jahr gegen die Ukraine in den Krieg gezogen war.
Ein klarer Rückschritt nach Bali
Gastgeber Indien wollte den Fokus eigentlich auf Themen des globalen Südens legen, als dessen Sprachrohr sich der Subkontinent etablieren will. Themen wie Lebensmittel- und Energiesicherheit sowie Klimawandel zum Beispiel. Doch der Ukraine-Konflikt machte Indien einen Strich durch die Planung.
Der Weg zur gemeinsamen Abschlusserklärung war damit blockiert. Damit sind die G20 sogar wieder einen Schritt zurückgefallen. Noch am G20-Gipfel in Bali im letzten Jahr hatte China den russischen Angriff mit verurteilt.
Indien: ein zwiespältiger Gastgeber
Der Riss zwischen den Blöcken wird grösser. Die Interessenpolitik einzelner Länder stärker. Das zeigt sich auch am G20-Gastgeber Indien, der direkte Kritik an seinem grössten Waffenlieferanten Russland bisher vermieden hat und sich bei Abstimmungen über UNO-Resolutionen zur Verurteilung des Krieges regelmässig enthält. Indien betont zwar, wie wichtig die Einhaltung der Souveränität der Ukraine sei, kauft aber weiter billiges Öl aus Russland.
Doch wenn die Interessenpolitik einzelner Länder in Zeiten des Krieges wieder in den Vordergrund rückt, wird es immer schwerer, globale Probleme gemeinsam zu lösen.