Kerzen und Blumen am Tatort. Menschen stehen beisammen und spenden sich Trost. In Bristol sind in der Nacht auf Sonntag zwei Jugendliche bei einer Messerstecherei ums Leben gekommen. Der eine war 15-jährig, der andere 16. Die Umstände sind unklar, die Polizei ermittelt.
Trauriger Alltag in Grossbritannien. Rund 140 Straftaten mit Messern verzeichnen die Polizeibehörden jeden Tag. In den letzten 12 Monaten waren das etwa 50'500, rund fünf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Es gab fast schon wieder so viele Straftaten wie vor der Pandemie.
Im März 2020 wurde mit rund 53'700 Straftaten mit Messereinsatz ein trauriger Zwölfmonatsrekord registriert. Über 250 Menschen kamen so zu Tode. Das zeigt eine Auswertung vom letzten Oktober, zusammengestellt von der Forschungsstelle des britischen Parlamentes.
«Holt eure Kinder von der Strasse»
«Stoppt diesen Wahnsinn!», lautet Leanne Reynolds' Appell, den sie ins nächtliche Bristol hinausschreit: «Holt eure Kinder von der Strasse. Kein Kind sollte nachts mit einem Messer unterwegs sein.» Reynolds engagiert sich gegen Messergewalt, seit ein ihr nahestehender 18-Jähriger vor drei Jahren erstochen wurde. Die Sozialarbeiterin ist umringt von Menschen verschiedenen Alters, die am Tatort den jüngsten Opfern gedenken.
«Die Gewalt auf der Strasse nimmt zu und immer öfter werden Jugendliche getötet», beobachtet die Sozialarbeiterin aus Bristol. Sie ermahnt die Eltern: «Geht nach Hause und durchsucht die Zimmer eurer Kinder. Und stellt sie zur Rede, wenn sie plötzlich mit neuen Klamotten herumlaufen, von denen ihr nicht wisst, wie sie sie bezahlt haben.» Reynolds spielt damit auf Banden an, die Kinder und Jugendliche für kriminelle Aktivitäten einspannen und sie dafür teils fürstlich entlöhnen.
Regierung will grosse Messer und Macheten verbieten
Die Zunahme von Messerkriminalität in Grossbritannien ist auch der konservativen Regierung nicht entgangen. Sie hat an ihrer letzten Sitzung eine Verschärfung der Messergesetzgebung verabschiedet: «Künftig ist nicht nur das Aufsichtragen von sogenannten Zombie-Messern und Macheten verboten, wie dies seit 2019 der Fall ist», sagte Innenminister James Cleverly nach der Regierungssitzung bei einem Besuch in Gravesend östlich von London. «Auch die Herstellung, der Handel und Besitz werden verboten.» Die Verschärfung soll demnächst vom Parlament beraten werden und voraussichtlich im September in Kraft treten.
Die oppositionelle Labour-Partei wird das Vorgehen unterstützen, verlangt aber weitergehende Massnahmen: «Wir müssen den gefährdeten, bzw. gefährlichen Jugendlichen eine Ausstiegsperspektive bieten», sagt Schatten-Polizeiminister Alex Norris. «Es braucht Jugendzentren im ganzen Land, die jungen Menschen Hilfe bieten, damit sie nicht auf Abwege geraten. Auch verurteilte Jugendliche brauchen Hilfe, damit sie ihr Verhalten ändern können.» Die Partei stellt in Aussicht, nach einem allfälligen Sieg bei den nächsten Wahlen rund 100 Millionen Pfund bereitzustellen.
Kampagne gegen Messerkriminalität
Es sei höchste Zeit, dass die Politik aktiv werde und Messerkriminalität wirkungsvoll angehe, mahnen Angehörige der Todesopfer in London. «Messer sind so einfach zu kaufen, wie eine Büchse Cola», sagt Julie Taylor, die um ihren Enkel trauert. «Die Politik muss endlich merken, dass wir einen Notfall haben. Es ist ein Krieg im Gang. Und wir verlieren unsere Kinder.»