Zum Inhalt springen
Video
Die Crypto AG gehörte jahrzehntelang der CIA und dem BND
Aus 10 vor 10 vom 11.02.2020.
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 5 Sekunden.

Geheimdienst-Affäre Weltpolitik mit manipulierten Chiffriergeräten

Camp David, Iran, Argentinien, Panama: Wie die USA dank entschlüsselter Crypto-Botschaften Weltpolitik gemacht haben.

Ein 280-seitiges Geheimdienst-Dossier der CIA und des deutschen Bundesnachrichtendienstes BND belegt, dass jahrzehntelang mit manipulierten Verschlüsselungsgeräten der Zuger Crypto AG spioniert worden ist. Über 100 Länder kauften die Chiffriergeräte der Zuger Firma, die unter dem Deckmantel der Schweizer Neutralität Geschäfte machte, in Wahrheit aber der CIA und dem BND gehörte.

Mit Hilfe der abgehörten, vermeintlich verschlüsselten Kommunikation etlicher Staaten wurde die Weltpolitik beeinflusst. Das zeigt exemplarisch folgende Auswahl von vier historischen Ereignissen.

Camp David: September 1978. Gut zehn Jahre nach dem Sechstagekrieg, bei dem Ägypten, Syrien und Jordanien gegen Israel eine schwere Niederlage und Landverluste einstecken mussten, lanciert der damalige US-Präsident Jimmy Carter eine Nahostinitiative. Sie soll nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 endlich Frieden zwischen Israel und Ägypten bringen. Die beiden Länder führen seither einen Scharmützelkrieg, es herrscht grosses Misstrauen.

Carter lädt den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat und den israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin zu sich nach Camp David ein – in die Präsidenten-Erholungsanlage im US-Bundesstaat Maryland. Dort wird zunächst geheim verhandelt. Tatsächlich legen die Beteiligten nach zwölf Verhandlungstagen einen Plan vor, der die Beziehungen zwischen Israel und Ägypten normalisieren und dem Nahen Osten eine Beruhigung bringen soll.

Die drei Politiker sitzen vor Landesflaggen.
Legende: Sadat, Carter und Begin (v.l) unterzeichnen im März 1979 das ägyptisch-israelische Friedensabkommen von Camp David. Reuters Archiv

Dank der jetzt vorliegenden CIA-Papiere weiss man: Die Ägypter wurden bei ihren Besprechungen mit ihren verbündeten arabischen Staaten während den Verhandlungen abgehört – dank der manipulierten Chiffriergeräte der Crypto AG. «Das heisst nichts anderes, als dass Jimmy Carter Poker spielte – und alle Karten sehen konnte», konstatiert der Geheimdienstexperte Richard Aldrich.

Tatsächlich schafft es der US-Präsident, dass der langersehnte Frieden im Nahen Osten zum Greifen nah ist – und er ein Held. «Wie wertvoll war es, 1979 während der Camp-David-Verhandlungen zwischen Israel und Ägypten, Ägyptens diplomatische Korrespondenz lesen zu können?», steht dazu in den CIA-Papieren. «Die richtige Antwort lautet: unbezahlbar».

Video
Geheimdienst-Experte Schmidt-Eenboom zu den Camp-David-Verhandlungen
Aus News-Clip vom 11.02.2020.
abspielen. Laufzeit 20 Sekunden.

Iran: Anfang 1979. Mitte Januar verlässt der von den USA gestützte Schah Reza Pahlavi nach monatelangen Massenprotesten und der Lahmlegung der iranischen Wirtschaft das Land in Richtung USA. Aufgebrachte iranische Studenten, die gegen das Schah-Asyl in den Vereinigten Staaten protestieren, besetzen am 4. November 1979 die US-Botschaft in Teheran. 52 Amerikaner werden als Geiseln genommen.

Leute klettern über die Botschaftsmauer in Teheran. Schwarzweiss-Foto.
Legende: Am 4. November 1979 stürmten demonstrierende Studenten die US-Botschaft in Teheran. Sie hielten die 52 Geiseln während 444 Tagen gefangen. Keystone Archiv

Weil sich US-Präsident Carter und Irans Revolutionsführer und Machthaber Ruhollah Chomeini nicht einigen können, tritt Algerien bei den Verhandlungen um eine Freilassung der Amerikaner als neutraler Vermittler auf. Tatsächlich werden die 52 Amerikaner am 20. Januar 1981 freigelassen, nach 444 Tagen Geiselhaft in der US-Botschaft. Jetzt stellt sich anhand der CIA-Papiere heraus, dass Washington dank abgehörter, vermeintlich verschlüsselter Kommunikation während den Verhandlungen klar im Vorteil war.

So sagte ein hoher CIA-Vertreter dem «Washington Post»-Journalisten Greg Miller – auch er recherchierte im Zusammenhang mit den CIA-Papieren – dass US-Präsident Carter damals dank der manipulierten Chiffriergeräte der Zuger Crypto-AG an hilfreiche Informationen kam. «Er sagte mir, dass er während der Iran-Krise fast täglich Anrufe des US-Präsidenten erhielt. Carter fragte: «Was ist los? Was wissen wir?›.» Dank der manipulierten Chiffriergeräte habe der CIA-Mann Carter darüber Auskunft geben können, was die Iraner taten und was ihre Entscheidungen waren.

Cryptoleaks kurz erklärt

Box aufklappen Box zuklappen
  • Über Jahrzehnte wurden über hundert Staaten von CIA und BND ausspioniert.
  • Hunderttausende geheime Nachrichten zwischen Regierungsstellen, Behörden, Botschaften oder militärischen Stellen wurden systematisch abgefangen.
  • Wie war das möglich? Die über 100 Regierungen kauften Verschlüsselungsgeräte der ehemaligen Zuger Firma Crypto AG.
  • Diese Chiffriergeräte waren so manipuliert, dass die beiden Geheimdienste alles abhören konnten.
  • Denn: Neu geleakte Geheimdienst-Dossiers belegen, dass die Crypto AG 1970 von der CIA und dem BND gekauft worden war – verschleiert über eine Stiftung in Liechtenstein. Das zeigen Recherchen der «Rundschau», dem ZDF und der «Washington Post».
  • Mit Hilfe der abgehörten, vermeintlich verschlüsselten Kommunikation etlicher Staaten wurde die Weltpolitik beeinflusst, so z.B. die Camp-David-Verhandlungen 1979.
  • Aufgrund der Recherchen leitete der Bundesrat nun eine Untersuchung ein.
  • Das Wirtschaftsdepartement sistierte die Generalausfuhrbewilligung für Crypto-Geräte.

Auch die CIA-Papiere unterstreichen diese Tatsache: «Einer der wichtigsten Vorteile war die Fähigkeit, die algerischen Mitteilungen während der Verhandlungen zu lesen, die schliesslich zur Freilassung der amerikanischen Geiseln in der Botschaft von Teheran im Januar 1981 führten», steht dort.

Carter selber wandte sich anlässlich einer Medienkonferenz nach der Geiselbefreiung übrigens an den Vermittler Algerien. «Ich möchte insbesondere den Algeriern meinen besonderen Dank aussprechen, die einen tollen Job gemacht haben und eine faire Schlichtung zwischen uns und den iranischen Behörden erreicht haben», sagte er öffentlich.

Im heutigen Wissen darum, dass Carter stets auf dem Laufenden war, welche Absichten die Iraner verfolgten, erscheint diese Aussage in einem völlig neuen Licht.

Mechanische Chiffriermaschine.
Legende: Die CIA und der BND hörten mit: Chiffriermaschine der Zuger Crypto AG. SRF

Argentinien: Auch das Militärregime von 1976 bis 1983 ist Kunde der Crypto AG. Durch die manipulierten Chiffriergeräte können der deutsche Geheimdienst (BND) und die CIA aus erster Hand erfahren, wie die argentinische Militärjunta mit Regimegegnern umgeht – wie sie zahllose Menschen verschleppt, misshandelt und ermordet.

«Die CIA-Papiere gehen wahrscheinlich weiter als alles Bekannte – wenn es darum geht, zuzugeben, wie viel die westlichen Regierungen von diesen Gräueltaten wussten», sagt der Geheimdienstexperte Aldrich. Es sei überraschend, dass von den Europäern und den Amerikanern nicht mehr Widerstand gegen die Vorgänge in Argentinien gekommen sei.

Video
Geheimdienstexperte Aldrich: Europa und USA haben nicht reagiert
Aus News-Clip vom 11.02.2020.
abspielen. Laufzeit 23 Sekunden.

In der Tat werden während der Videla-Diktatur Woche für Woche Gefangene in Flugzeuge gepfercht und über dem offenen Meer lebendig hinausgeworfen. Insgesamt fallen dem Militärregime während seiner fast achtjährigen Herrschaft mehr als 30'000 Menschen zum Opfer.

Schwere Anschuldigungen aus Argentinien

Box aufklappen Box zuklappen

Seit über 40 Jahren demonstrieren die Mütter von verschleppten und ermordeten Argentinierinnen und Argentinier und kämpfen damit für Aufklärung. Es ist auch ein Protest gegen den Westen, der nichts unternahm, um das Morden zu stoppen. Nora Morales de Cortiñas ist von Anfang an dabei. Ihr Sohn Carlos wurde 1977 entführt. Ihre Klage erscheint nach Bekanntwerden der Cryptoleaks in einem neuen Licht: «Die Regierungen wussten Bescheid über den Schrecken und die Folter, sie wussten von den Entführungen von Babys und schwangeren Frauen. Sie wussten alles und sie haben nichts getan, um das zu beenden.»

Panama: Oktober 1989. Auf den Strassen des mittelamerikanischen Landes Panama herrscht Chaos. Militärs versuchen einen Putsch gegen Machthaber Manuel Noriega. Dieser ist bekannt dafür, dass er mit Geldwäschern und Drogendealern kooperiert. Den Putsch kann er zwar noch niederschlagen. Doch dann mischen sich die USA ein: mit der bis dahin grössten Luftlandeoperation seit dem Zweiten Weltkrieg.

US-Soldaten in Tarnanzügen in einer Strasse in Panama, Verdächtige Personen liegen am Boden.
Legende: Ende Dezember 1989 marschierten die US-Truppen in Panama ein. Machthaber Noriega wurde schliesslich in der vatikanischen Botschaft verhaftet. Keystone Archiv

Insgesamt 20'000 US-Soldaten sind an der Invasion beteiligt, nach vier Tagen sind praktisch alle Kampfhandlungen beendet. Noriega flüchtet in die Nuntiatur des Vatikans. Nach zehn Tagen stellt sich der Ex-Machthaber den US-Truppen, er wird nach Miami ausgeflogen, wo er wegen Drogenhandels zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt wird, die später auf 30 Jahre reduziert werden.

In den CIA-Papieren ist jetzt zu lesen: «Als die USA 1989 in Panama einmarschierten, um Manuel Noriega festzunehmen, erhielten sie den ersten Hinweis darauf, dass er sich in der vatikanischen Botschaft aufhielt, dank der «Minerva»-fähigen Kommunikation des Vatikans.» Sprich: Der Vatikan kommunizierte mit seiner Botschaft in Panama mit einem manipulierten Verschlüsselungsgerät – und die CIA hörte mit.

«Rundschau» zu Cryptoleaks

Box aufklappen Box zuklappen

In einer 100-minütigen Sondersendung berichtet die «Rundschau» heute Abend ausführlich über die Geheimdienstaffäre rund um die Zuger Crypto AG. Ab 20.00 Uhr in der «Rundschau».

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel