Ein 280-seitiges Geheimdienst-Dossier der CIA und des deutschen Bundesnachrichtendienstes BND belegt, dass jahrzehntelang mit manipulierten Verschlüsselungsgeräten der Zuger Crypto AG spioniert worden ist. Über 100 Länder kauften die Chiffriergeräte der Zuger Firma, die unter dem Deckmantel der Schweizer Neutralität Geschäfte machte, in Wahrheit aber der CIA und dem BND gehörte.
Mit Hilfe der abgehörten, vermeintlich verschlüsselten Kommunikation etlicher Staaten wurde die Weltpolitik beeinflusst. Das zeigt exemplarisch folgende Auswahl von vier historischen Ereignissen.
Camp David: September 1978. Gut zehn Jahre nach dem Sechstagekrieg, bei dem Ägypten, Syrien und Jordanien gegen Israel eine schwere Niederlage und Landverluste einstecken mussten, lanciert der damalige US-Präsident Jimmy Carter eine Nahostinitiative. Sie soll nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 endlich Frieden zwischen Israel und Ägypten bringen. Die beiden Länder führen seither einen Scharmützelkrieg, es herrscht grosses Misstrauen.
Carter lädt den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat und den israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin zu sich nach Camp David ein – in die Präsidenten-Erholungsanlage im US-Bundesstaat Maryland. Dort wird zunächst geheim verhandelt. Tatsächlich legen die Beteiligten nach zwölf Verhandlungstagen einen Plan vor, der die Beziehungen zwischen Israel und Ägypten normalisieren und dem Nahen Osten eine Beruhigung bringen soll.
Dank der jetzt vorliegenden CIA-Papiere weiss man: Die Ägypter wurden bei ihren Besprechungen mit ihren verbündeten arabischen Staaten während den Verhandlungen abgehört – dank der manipulierten Chiffriergeräte der Crypto AG. «Das heisst nichts anderes, als dass Jimmy Carter Poker spielte – und alle Karten sehen konnte», konstatiert der Geheimdienstexperte Richard Aldrich.
Tatsächlich schafft es der US-Präsident, dass der langersehnte Frieden im Nahen Osten zum Greifen nah ist – und er ein Held. «Wie wertvoll war es, 1979 während der Camp-David-Verhandlungen zwischen Israel und Ägypten, Ägyptens diplomatische Korrespondenz lesen zu können?», steht dazu in den CIA-Papieren. «Die richtige Antwort lautet: unbezahlbar».
Iran: Anfang 1979. Mitte Januar verlässt der von den USA gestützte Schah Reza Pahlavi nach monatelangen Massenprotesten und der Lahmlegung der iranischen Wirtschaft das Land in Richtung USA. Aufgebrachte iranische Studenten, die gegen das Schah-Asyl in den Vereinigten Staaten protestieren, besetzen am 4. November 1979 die US-Botschaft in Teheran. 52 Amerikaner werden als Geiseln genommen.
Weil sich US-Präsident Carter und Irans Revolutionsführer und Machthaber Ruhollah Chomeini nicht einigen können, tritt Algerien bei den Verhandlungen um eine Freilassung der Amerikaner als neutraler Vermittler auf. Tatsächlich werden die 52 Amerikaner am 20. Januar 1981 freigelassen, nach 444 Tagen Geiselhaft in der US-Botschaft. Jetzt stellt sich anhand der CIA-Papiere heraus, dass Washington dank abgehörter, vermeintlich verschlüsselter Kommunikation während den Verhandlungen klar im Vorteil war.
So sagte ein hoher CIA-Vertreter dem «Washington Post»-Journalisten Greg Miller – auch er recherchierte im Zusammenhang mit den CIA-Papieren – dass US-Präsident Carter damals dank der manipulierten Chiffriergeräte der Zuger Crypto-AG an hilfreiche Informationen kam. «Er sagte mir, dass er während der Iran-Krise fast täglich Anrufe des US-Präsidenten erhielt. Carter fragte: «Was ist los? Was wissen wir?›.» Dank der manipulierten Chiffriergeräte habe der CIA-Mann Carter darüber Auskunft geben können, was die Iraner taten und was ihre Entscheidungen waren.
Auch die CIA-Papiere unterstreichen diese Tatsache: «Einer der wichtigsten Vorteile war die Fähigkeit, die algerischen Mitteilungen während der Verhandlungen zu lesen, die schliesslich zur Freilassung der amerikanischen Geiseln in der Botschaft von Teheran im Januar 1981 führten», steht dort.
Carter selber wandte sich anlässlich einer Medienkonferenz nach der Geiselbefreiung übrigens an den Vermittler Algerien. «Ich möchte insbesondere den Algeriern meinen besonderen Dank aussprechen, die einen tollen Job gemacht haben und eine faire Schlichtung zwischen uns und den iranischen Behörden erreicht haben», sagte er öffentlich.
Im heutigen Wissen darum, dass Carter stets auf dem Laufenden war, welche Absichten die Iraner verfolgten, erscheint diese Aussage in einem völlig neuen Licht.
Argentinien: Auch das Militärregime von 1976 bis 1983 ist Kunde der Crypto AG. Durch die manipulierten Chiffriergeräte können der deutsche Geheimdienst (BND) und die CIA aus erster Hand erfahren, wie die argentinische Militärjunta mit Regimegegnern umgeht – wie sie zahllose Menschen verschleppt, misshandelt und ermordet.
«Die CIA-Papiere gehen wahrscheinlich weiter als alles Bekannte – wenn es darum geht, zuzugeben, wie viel die westlichen Regierungen von diesen Gräueltaten wussten», sagt der Geheimdienstexperte Aldrich. Es sei überraschend, dass von den Europäern und den Amerikanern nicht mehr Widerstand gegen die Vorgänge in Argentinien gekommen sei.
In der Tat werden während der Videla-Diktatur Woche für Woche Gefangene in Flugzeuge gepfercht und über dem offenen Meer lebendig hinausgeworfen. Insgesamt fallen dem Militärregime während seiner fast achtjährigen Herrschaft mehr als 30'000 Menschen zum Opfer.
Panama: Oktober 1989. Auf den Strassen des mittelamerikanischen Landes Panama herrscht Chaos. Militärs versuchen einen Putsch gegen Machthaber Manuel Noriega. Dieser ist bekannt dafür, dass er mit Geldwäschern und Drogendealern kooperiert. Den Putsch kann er zwar noch niederschlagen. Doch dann mischen sich die USA ein: mit der bis dahin grössten Luftlandeoperation seit dem Zweiten Weltkrieg.
Insgesamt 20'000 US-Soldaten sind an der Invasion beteiligt, nach vier Tagen sind praktisch alle Kampfhandlungen beendet. Noriega flüchtet in die Nuntiatur des Vatikans. Nach zehn Tagen stellt sich der Ex-Machthaber den US-Truppen, er wird nach Miami ausgeflogen, wo er wegen Drogenhandels zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt wird, die später auf 30 Jahre reduziert werden.
In den CIA-Papieren ist jetzt zu lesen: «Als die USA 1989 in Panama einmarschierten, um Manuel Noriega festzunehmen, erhielten sie den ersten Hinweis darauf, dass er sich in der vatikanischen Botschaft aufhielt, dank der «Minerva»-fähigen Kommunikation des Vatikans.» Sprich: Der Vatikan kommunizierte mit seiner Botschaft in Panama mit einem manipulierten Verschlüsselungsgerät – und die CIA hörte mit.