- Die gemeinsame Recherche Cryptoleaks von «Rundschau», ZDF und «Washington Post» enthüllt eine weltweite Abhöroperation von US- und deutschen Geheimdiensten.
- Ein 280-seitiges Geheimdienst-Dossier belegt: Spioniert wurde mit manipulierten Verschlüsselungsgeräten der Zuger Crypto AG.
- Die Operation lief gemäss Recherchen bis mindestens 2018.
- Aufgrund der «Rundschau»-Recherchen leitet der Bundesrat eine Untersuchung ein. Das Wirtschaftsdepartement sistiert die Generalausfuhrbewilligung für Crypto-Geräte.
Gerüchte, dass Geheimdienste hinter der Zuger Firma Crypto AG stehen, hatte es immer wieder gegeben. Doch jetzt beweisen Dokumente der CIA und des deutschen Bundesnachrichtendienstes BND: Die beiden Geheimdienste hörten mit manipulierten Chiffriergeräten der Schweizer Firma Crypto AG jahrzehntelang weltweit mit.
Die Dimensionen sind enorm: Über hundert Staaten wurden von CIA und BND abgehört. Hunderttausende Nachrichten zwischen Regierungsstellen, Behörden, Botschaften oder militärischen Stellen wurden systematisch abgefangen.
Knackbare Geräte als sicher verkauft
1970 kauften der westdeutsche BND und die CIA zu gleichen Teilen die Firma Crypto AG – verschleiert über eine Stiftung in Liechtenstein. Bereits vorher bestand eine lose Zusammenarbeit, doch mit dem Kauf der Firma hatten die Geheimdienste nun die totale Kontrolle. Die Crypto AG war Marktführerin für Chiffriergeräte. Das sind Maschinen, die geheime Kommunikation verschlüsseln sollen, damit sie nicht abgehört wird.
Bruno von Ah, ein ehemaliger Crypto-Mitarbeiter, sagt gegenüber der «Rundschau»: «Irgendwann merkten mein Vorgesetzter und ich, dass die Geräte eine Hintertür drin haben.» Tatsächlich baute die Crypto AG über Jahrzehnte zwei Formen von Verschlüsselung in die Geräte ein: eine sichere und eine unsichere, also knackbare. Die sichere Ausführung erhielten nur wenige Länder, unter anderem die Schweiz.
Auf den rund 280 Seiten des der «Rundschau», ZDF und «Washington Post» zugespielten Geheimdienst-Dossiers wird die sogenannte «Operation Rubikon» als «eine der erfolgreichsten nachrichtendienstlichen Unternehmungen der Nachkriegszeit» bezeichnet.
Professor Richard Aldrich von der Universität Warwick in Grossbritannien kommt zum Schluss, dass die «Operation Rubikon» eine der «kühnsten und auch skandalträchtigsten Operationen» überhaupt war. «Über hundert Staaten zahlten Milliarden Dollar dafür, dass ihnen ihre Staatsgeheimnisse gestohlen wurden.»
Weltpolitik beeinflusst
Die Crypto AG belieferte die ganze Welt, unter anderem Saudi-Arabien, Argentinien und Iran. Die Schweizer Firma galt als neutral – was während des Kalten Kriegs und des Nahost-Konflikts ein wichtiges Verkaufsargument war. Insbesondere die USA nutzten dies politisch aus. Weil sie die Länder abhören konnten, hatten die Vereinigten Staaten einen enormen Vorteil bei Verhandlungen oder bei der strategischen Kriegsführung.
Die Crypto-Geräte spielten etwa bei den Camp-David-Verhandlungen 1979, bei den Verhandlungen über die amerikanischen Geiseln in Iran 1981 oder bei der US-Invasion in Panama 1989 eine essenzielle Rolle. Die Dokumente belegen auch erstmals, dass BND und CIA frühzeitig über die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die argentinische Militärjunta informiert waren. Die von Deutschen und Amerikanern an die Briten weitergeleiteten entschlüsselten Funksprüche der argentinischen Marine trugen 1982 entscheidend zum Sieg Grossbritanniens im Falklandkrieg bei.
Der deutsche Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom spricht von einer «ausserordentlich bedeutsamen Operation». Zeitweise hätten CIA und BND mindestens 50, wenn nicht 70 Prozent ihrer Aufklärungsergebnisse den manipulierten Crypto-Geräten zu verdanken gehabt.
Eingeweihte Schweizer Geheimdienste und Politiker
Aus den vorliegenden Dokumenten geht klar hervor, dass die Schweizer Geheimdienste in die Operation von CIA und BND eingeweiht waren. So steht in den Papieren geschrieben: «Die Bundespolizei (das Schweizer Pendant zum amerikanischen FBI) hat den militärischen Nachrichtendienst kontaktiert. Hohe Beamte der Organisation hatten generell Kenntnis von der Rolle Deutschlands und der USA im Zusammenhang mit der Crypto AG und trugen dazu bei, diese Beziehung zu schützen.»
Die Recherchen der «Rundschau» bestätigen, dass Mitarbeiter der Schweizer Nachrichtendienste Bescheid wussten. Damals mutmasslich Involvierte wollten dazu aber keine Stellung nehmen oder sie sagen, sie hätten keine Kenntnis von der Operation gehabt. Es gibt auch Hinweise, dass «Schlüsselpersonen in der Regierung» von der «Operation Rubikon» wussten.
Parmelin sistiert Generalausfuhrbewilligung
Aufgeschreckt durch die Recherchen der «Rundschau» entschied Wirtschaftsminister Guy Parmelin/SVP Mitte Dezember 2019, die Generalausfuhrbewilligung der Firma Crypto International zu sistieren. Das Wirtschaftsdepartement bestätigt die Sistierung gegenüber der «Rundschau». Sie gelte, «bis die offenen Fragen geklärt sind».
Der Bundesrat hat zudem auf die Recherchen reagiert und eine Untersuchung eingeleitet. In seiner Sitzung vom 15. Januar 2020 beschloss er die Einsetzung einer interdepartementalen Arbeitsgruppe zu den Cryptoleaks. Verteidigungs-, Aussen-, Justiz- und Wirtschaftsdepartement sollen den Fall Crypto aufarbeiten. Die Untersuchung soll alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer durchführen.
CIA, NSA und BND wollten gegenüber der «Rundschau», ZDF und «Washington Post» keine Stellung nehmen.
Sendebezug: «10vor10», 11.02.2020