Ein prominenter Schweizer Name sticht besonders hervor: Derjenige von alt Bundesrat Kaspar Villiger. Ein zentrales Dokument in den CIA Papieren nennt den Luzerner Freisinnigen als Mitwisser der Spionageaktion. Als damaliger Vorsteher des Eidgenössischen Militärdepartements habe Villiger 1994 gewusst, dass die Crypto AG unter anderem der CIA gehörte.
Trotz moralischer Bedenken habe der FDP-Bundesrat die Sache unter den Tisch gewischt: «Villiger wusste, wem das Unternehmen gehörte, und fühlte sich moralisch verpflichtet, dies offenzulegen», heisst es im CIA-Papier. Doch Villiger habe nichts unternommen: «Offensichtlich hat Villiger den Mund gehalten.»
Villiger und Stucky wissen von nichts
Alt Bundesrat Villiger bestreitet diese Darstellung: Handlangerdienste für Drittstaaten hätte er niemals gedeckt, schreibt er der «Rundschau»: «Wer und was auch immer hinter den CIA-Notizen zu meiner Person stecken mag: Sie stimmen in dieser Form nicht, denn eine detaillierte Information über die Übungsanlage hätte mich sofort alarmiert.»
Namentlich genannt wird im CIA-Dokument auch der frühere Zuger FDP-Nationalrat Georg Stucky. Er sass von 1992 bis 2016 im Verwaltungsrat der Crypto AG. Stucky sei vom Crypto-CEO über die Spionage-Operation informiert worden, so das Papier. Stucky allerdings lässt ausrichten: «An so etwas kann ich mich nicht erinnern.»
Mitwisser im Nachrichtendienst
Erhärten konnte die «Rundschau», dass es innerhalb des Schweizer Nachrichtendienstes Mitwisser gab. Mehrere voneinander unabhängige Quellen bestätigen dies. Laut dem CIA-Papier halfen Schweizer Mitwisser in den 1990er-Jahren gar aktiv, Ermittlungen gegen die Crypto AG abzuwenden. Damals hatten laut Recherchen der «Rundschau» mehrere Crypto-Mitarbeiter vor der Bundespolizei (Bupo) ausgesagt und den Verdacht auf manipulierte Geräte geäussert.
Laut CIA-Dokument beeinflussten aber Schweizer Nachrichtendienst-Mitarbeiter die Ermittlungen und nahmen insbesondere auch Einfluss auf die Kryptologen der Schweizer Armee, die in die Untersuchung der Geräte eingebunden waren.
Im CIA-Papier steht dazu: «Sie hatten den Schweizer Verschlüsselungsdienst in der Tasche (…).» Tatsächlich verliefen die Vorabklärungen der Bupo im Sand. Geleitet hatte sie Jürg Bühler, jetzt Vizedirektor des Nachrichtendienstes des Bundes. Er sagt heute: «Wenn das im Nachhinein gesehen der Fall war, dann ist klar, warum das Ergebnis der technischen Abklärungen so war, wie wir es bekommen haben.»
Bupo-Chef von Däniken gibt sich ahnungslos
Die CIA zweifelt aber auch am Willen der Bupo-Verantwortlichen, den wahren Verhältnissen bei der Crypto AG auf die Spur zu kommen: «Sie schienen nicht sehr gut hinzuschauen», heisst es im Papier. Der damalige Chef der Bupo, stellvertretender Bundesanwalt und Inland-Nachrichtendienstchef Urs von Daeniken, schreibt der «Rundschau»: «Von einer Operation hatte die Bupo keine Kenntnis. Es ergaben sich keine konkreten Verdachtsmomente für ein strafbares Verhalten und damit die Eröffnung eines Strafverfahrens.»
Laut CIA war die Bupo jedoch eingeweiht und hat auch den militärischen Nachrichtendienst informiert: «Die Bupo (…) hat den militärischen Nachrichtendienst kontaktiert. Hohe Beamte der Organisation hatten generell Kenntnis von der Rolle Deutschlands und der USA im Zusammenhang mit der Crypto AG und trugen dazu bei, diese Beziehung zu schützen.» Der damalige Chef des militärischen Nachrichtendienstes, Peter Regli, will sich auf Anfrage dazu nicht äussern.
Für Bernd Schmidbauer, den ehemaligen Staatsminister und Geheimdienstberater des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl, ist klar: Die Schweizer hätten gewusst, was Sache ist. Schmidbauer sagt: «Ich hatte in bestimmten Bereichen ja direkten Kontakt zur Spitze Schweizer Dienste oder Behörden. Ich halte die Arbeit der Schweizer Dienste für sehr gut – auch in dieser Zeit – und nehme an, dass sie nicht uninformiert waren.»
Tagesschau, 11.2.20, 19:30 Uhr