Das Thema Migration steht in diesem Herbst in Europa wieder ganz oben auf der politischen Agenda. Nicht nur wegen der Bilder aus Lampedusa in den vergangenen Wochen. Die Zahlen der Asylgesuche steigen. Bis Ende Jahr könnten sie die Spitzenwerte aus den Jahren 2015 und 2016 erreichen. Dazu kommen die Schutzsuchenden aus der Ukraine, die über einen besonderen Status verfügen und nicht in die Asylstatistik einfliessen. Das bringt nicht nur die Behörden in traditionellen Ankunftsländern wie Italien oder Griechenland an den Anschlag.
In diesem politischen Umfeld versuchen die Innenministerinnen und Innenminister der EU, die letzten Pflöcke für die Reform des europäischen Asylsystems einzuschlagen. Man ist auf der Zielgeraden, doch man hat die Ziellinie noch nicht überschritten.
Was bringt die Reform wirklich?
Diplomatinnen und Diplomaten in Brüssel rechnen aber bald mit einer formellen Einigung. Das wäre ein europapolitischer Meilenstein: Nach Jahren des Streits einigt sich eine Mehrheit der EU-Staaten darauf, wie das nicht funktionierende Asylsystem reformiert werden soll.
Doch selbst wenn die danach zu erwartenden zähen Verhandlungen mit dem EU-Parlament zu einer Einigung führen, bleibt eine entscheidende Frage offen: Wird das europäische Asylsystem mit dieser Reform tatsächlich besser funktionieren als heute?
Schlechter kann es fast nicht werden
Gewiss, das heutige Dublin-System funktioniert schon seit Jahren nur noch in der Theorie. Schlechter kann es fast nicht werden. Mit der Reform wollen die EU-Staaten das europäische Asylsystem schneller und effizienter machen. Auch abschreckende Wirkung, welche etwa die vorgesehenen abgeschotteten Zentren an den Aussengrenzen auf Asylsuchende haben sollen, ist politisch gewollt.
Wer in einem solchen Grenzzentrum einen negativen Asylbescheid erhält, soll schnell in sein Herkunftsland oder in das Land, in dem er sich zuletzt aufgehalten hat, abgeschoben werden. So soll die Zuwanderung nach Europa in Zukunft stärker kontrolliert werden. Das verkünden Politikerinnen und Politiker von Rom bis Stockholm.
Funktionierende Abkommen mit Herkunftsländern nötig
Das tönt simpel, ist es aber nicht. Denn damit dieses System funktioniert, braucht es Abkommen mit den Herkunfts- und Transitländern der Asylsuchenden. Mit jenen Ländern, in welche Personen mit negativem Asylbescheid rückgeführt werden oder aus denen sie gar nicht erst die Reise nach Europa antreten sollen. Mit Ländern wie Ägypten, Libyen oder Tunesien. Ob solche Abkommen von diesen Ländern dann auch tatsächlich eingehalten werden, liegt nicht in erster Linie in den Händen der Brüsseler Politik, sondern vielmehr in den Händen, der autokratischen Herrschern in diesen Staaten.
Die im Juli mit Tunesien getroffene Vereinbarung zeigt bisher beispielsweise keine Wirkung. Doch Alternativen sind schwierig, Europa kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen.
Noch ist die europäische Asylreform nicht in Kraft, noch kann ihre Wirkung nicht beurteilt werden. Klar ist aber bereits, dass Europa die Migration auch damit nicht allein kontrollieren kann. Das ist eine politische Illusion.