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Hans-Werner Sinn über die Rolle der EU beim Brexit
Aus Tagesgespräch vom 17.01.2019. Bild: Keystone
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Gescheitertes Brexit-Abkommen «Die EU sollte einen Schritt auf die Briten zugehen»

Der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn kann dem Brexit nichts abgewinnen. Er hält diesen für schädlich für Grossbritannien, aber auch für die Europäische Union. Er könne nicht verstehen, weshalb man den Briten in Brüssel kein besseres Angebot gemacht habe, sagt er im Tagesgespräch.

Hans-Werner Sinn

Emeritierter Wirtschaftsprofessor

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Der emeritierte Münchner Wirtschaftsprofessor war von 1999 bis 2016 Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung. Heute beschäftigt er sich vor allem mit dem Euro, dem Klimawandel, der Demographie und Migration. Er hat die wirtschaftliche Coronakrise analysiert und dazu das Buch «Der Corona-Schock. Wie die Wirtschaft überlebt» geschrieben.

SRF News: Was haben Sie sich für den 29. März in die Agenda geschrieben?

Hans-Werner Sinn: Ein grosses Fragezeichen. Ich glaube nicht, dass Grossbritannien dann aus der EU austreten wird. Man wird im Zweifel noch einmal versuchen, die Frist zu verlängern, um noch mehr Zeit zu haben. Und für meine Begriffe ist es noch gar nicht klar, ob es überhaupt zum Austritt kommt. Denn nach der Entscheidung des Parlaments, diesem Abkommen nicht zuzustimmen, sind wir in einem Regime, in dem man neu anfängt zu denken.

Aber die Briten haben doch für einen Austritt gestimmt?

Ja, aber unter einem falschen Kenntnisstand. Inzwischen wissen sie, welche Probleme es gibt. Und die Umfragen zeigen, dass eine leichte Mehrheit jetzt schon wieder für den Verbleib in der EU sein würde. Ich meine sogar, der Verbleib ist so wichtig für Europa, dass die EU den Briten ein Angebot machen sollte, das sie nicht ablehnen können. David Cameron, der ehemalige Premierminister, hatte ja versucht, für Migranten aus anderen EU-Ländern eine verzögerte Integration in das britische Sozialsystem zu erreichen.

David Cameron
Legende: Der damalige Premierminister David Cameron schlug die Abstimmung über den Brexit vor. Keystone/Archiv

Die EU aber sagte, nein, das machen wir nicht. Wir haben unsere Regeln, wir verhandeln nicht darüber. Also ging er mit leeren Händen nach Hause. Und das Resultat war schliesslich der Brexit. Aber das muss man doch nicht so machen, man kann doch auch einen Schritt auf sie zugehen; mit einem Angebot über veränderte soziale Migration in Europa, die die Briten nicht ablehnen können.

Hat Brüssel die Briten also in gewisser Weise über den Tisch gezogen?

Brüssel war hart. Brüssel hat gesagt, es gibt kein Rosinenpicken. Weil die Briten die Freizügigkeit für Arbeitskräfte nicht wollten, hat Brüssel gesagt, dann kriegt ihr gar nichts. Alles oder nichts. Es gibt Freizügigkeit beim Binnenmarkt für Güter, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräfte. Man kann sich da nicht etwas aussuchen und anderes weglassen. Diese harte Haltung stiess den Briten auf. Denn sie wollten schon noch Freihandel für Güter, Dienstleistungen und Kapital, aber nicht, dass Arbeitskräfte einwandern. Viele haben sich darüber geärgert, weil sie ihre Jobs gefährdet sahen – ob zu Recht oder nicht.

Wenn meine linke Hand gebrochen ist, dann kann ich doch nicht sagen, aus Symmetriegründen muss ich die Rechte auch noch festbinden.

Ich finde, die EU hätte flexibler sein sollen. Denn es ist doch durchaus möglich, auch ohne Freizügigkeit für Arbeitskräfte Freihandel zu haben. Die Dinge hängen ja gar nicht zusammen. Es ist im Gegenteil so, dass Freizügigkeit für Arbeitskräfte und Freihandel ökonomisch Substitute sind, die eine ähnliche Wirkungen haben. Und wenn das eine nicht geht, aus welchem Grund auch immer, soll man wenigstens das andere belassen, im beidseitigem Interesse.

Aber Brüssel ist ganz strikt bei diesen vier Freiheiten. Die Personenfreizügigkeit muss sein, wenn man Freihandel will...

Es ist ökonomischer Unsinn, um es mal in aller Deutlichkeit zu sagen. Wenn meine linke Hand gebrochen ist, dann kann ich doch nicht sagen, aus Symmetriegründen muss ich die Rechte auch noch festbinden, sondern dann brauche ich die Rechte erst recht, um auch die Arbeiten der Linken zum Teil zu ersetzen. Und so ist es beim Freihandel mit Gütern und bei der Freizügigkeit von Menschen. Wenn also die Menschen nicht mehr wandern können, dann ist es umso wichtiger, dass man wenigstens den freien Güterhandel hat. Der Handel nützt ja allen Beteiligten, das ist kein Nullsummenspiel. Alle haben etwas davon, weil man sich spezialisieren kann auf das, was man besser kann.

Wollten die Brüsseler Unterhändler die Briten mit ihrer harten Haltung vielleicht auch bestrafen, um keine Austrittswelle loszutreten?

Das ist eine ganz problematische Motivationslage. Wie kann man Länder bestrafen wollen, die austreten? Was ist denn das für eine EU, bei der man Ländern unter Strafe verbieten muss, auszutreten? Ich dachte, die EU wäre eine Einrichtung, bei der man freiwillig mitmacht, im gegenseitigen Vorteil.

Die Briten haben den Finger in die Wunde gelegt. Deswegen sollten wir jetzt die EU ändern.

Wenn man Angst hat davor, dass es Nachahmer gibt, dann ist das doch der beste Beweis dafür, dass da was faul ist in der EU. Die Briten zeigen uns, dass nicht alles so gut funktioniert. Brüssel verletzt das Subsidiaritätsprinzip, reguliert, wo sie gar nichts regulieren muss. Die Briten haben den Finger in die Wunde gelegt. Deswegen sollten wir jetzt die EU ändern. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen und den Briten das Angebot machen, die EU so zu verändern, wie sie es wollen, sodass wir insgesamt ein besseres System haben.

Das Gespräch führte Marc Lehmann.

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