«Gran Canaria ist ein Pulverfass», schreibt die spanische Zeitung «El Pais» – und berichtet von Gewalttaten gegen Flüchtlinge. Hintergrund: Die Kanarischen Inseln haben sich zum Migrationshotspot entwickelt. Rund 23’000 Menschen kamen allein im vergangenen Jahr.
Weil die Regierung in Madrid unbedingt verhindern will, dass die Migranten und Flüchtlinge aufs spanische Festland kommen, sind die Inseln für diese Menschen zu einer Art Gefängnis geworden.
Christina Teuthorn-Mohr lebt auf den Kanaren und berichtet von dort für die ARD. Mitgefühl mit den Geflüchteten gebe es zwar durchaus. Aber auch sie bestätigt: Die Stimmung ist explosiv. «Die Bewohner auf den Kanaren sind verzweifelt und haben Angst, vor allem wegen der eigenen schwierigen wirtschaftlichen Situation.»
Auf den beliebtesten Ferieninseln Europas schlägt die Coronakrise voll durch. Die Armut steigt, 80 Prozent der Arbeitsplätze hängen vom Tourismus ab – und der ist dramatisch eingebrochen. Auch aus der Schweiz reisten im letzten Jahr dreimal weniger Touristen an als zuvor.
Regierung in Madrid schaut zu
Viele Einheimischen wüssten nicht, wie sie ihre Miete zahlen sollen, berichtet die Journalistin. «Wenn dann vor der eigenen Haustüre immer wieder Flüchtlingsboote vorbeifahren, empfinden das viele Menschen nicht mehr nur als Zustrom – sondern als regelrechte Invasion.»
Teuthorn-Morn lebt auf der kleinen Insel El Hierro. Dort sind mittlerweile fast zehn Prozent der Bevölkerung Flüchtlinge und Migranten. «Das birgt gewaltigen Sprengstoff.» Die Regierung der Kanarischen Inseln hat wiederholt an die Zentralregierung appelliert, etwas zu unternehmen. Passiert ist kaum etwas.
Madrid entschied, die Migranten nicht aufs Festland zu lassen und sie in Hotels unterzubringen, weil sonstige Unterkünfte noch nicht bereit waren. Die Journalistin vermutet, dass die spanische Regierung ein Exempel statuieren will: «Sie will verhindern, dass auf den Kanaren ein neuer Korridor nach Europa entsteht und will gleichzeitig Druck auf die EU ausüben.»
Spanien wollte uns immer in ein Gefängnis verwandeln. Jetzt sind wir eines – aber ohne Mittel und ohne Überwachung.
Bilder von Migranten, die anstelle von Touristen in Hotels untergebracht werden, schüren die Wut der Einheimischen zusätzlich. Am Wochenende kam es zu Demonstrationen in kanarischen Städten. «Die Menschen demonstrierten nicht in erster Linie gegen Migrantinnen und Migranten, sondern vor allem gegen die Flüchtlingspolitik des spanischen Zentralstaats und auch der EU», so die ARD-Korrespondentin.
Antonio Morales, Regierungschef von Gran Canaria, fand klare Worte: «Spanien wollte uns immer in ein Gefängnis verwandeln. Jetzt sind wir eines – aber ohne Mittel und ohne Überwachung.» Die scharfe Rhetorik zeigt: Die Wut und Frustration sind gross.
Gestrandet auf den Kanaren
Teuthorn-Morn hat mit Sozialarbeitern, Politikern und einem Richter auf den Kanaren gesprochen. «Sie alle sind sehr besorgt über die zunehmende Fremdenfeindlichkeit auf den Inseln. Sie machen dafür aber vor allem die Regierung in Madrid verantwortlich.»
Empörend sei aber auch, schliesst die Journalistin, wie die Migranten ohne jede Perspektive auf den Kanarischen Inseln gesammelt würden. Und: «Auf dem Atlantik spielen sich menschliche Dramen ab. Ich kann nicht verstehen, dass Europa hier immer noch wegschaut.»